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Der EU-Asyl"kompromiss": Mehr Chaos und Leid
Kaum eine Frage ist in der Europäischen Union (EU) so umstritten wie die Asylpolitik und der Umgang mit Geflüchteten. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen haben sich die Mitgliedsländer mehrheitlich auf ein härteres Asylregime verständigt – und Deutschland hat dem zugestimmt.
Die Entscheidung, aufgrund der gestern getroffenen Vereinbarung einen EU-Gesetzgebungsprozess zu starten, ist umstritten. Terry Reintke, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, sagte zu spiegel online: »Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.«
Ähnlich äußert sich Sergey Lagodinsky, rechtspolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Europaparlament: »Nach meinem ersten Eindruck sind die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten, auch bezüglich der Behandlung der Minderjährigen im Grenzverfahren. Dies müsste dann das Europaparlament korrigieren.« Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt bezeichnete den Kompromiss als »Desaster«. Er werde »zu mehr Chaos und Leid führen«.
Die Einigung über ein Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen, welche die "Dublin-II-Verordnung" ersetzen soll, wird von Organisationen, die eine ernstzunehmende Asyl-, Geflüchteten- und Migrationspolitik einer Abschottungspolitik vorziehen, als menschenrechtswidrig kritisiert.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ist entsetzt über Pläne zur faktischen Abschaffung des europäischen Asylrechts: Die sei ein Angriff auf die Menschenrechte, statt eines „historischen Erfolgs": Er kritisiert die Pläne zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf die sich die europäischen Innenminister*innen gestern in Luxemburg geeinigt haben, aufs Schärfste. Durch Maßnahmen wie die Auslagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen sowie die Ausweitung der „sicheren Drittstaaten“ droht eine faktische Aushebelung des Asylrechts auf europäischer Ebene. „Die diskutierten Maßnahmen zeugen davon, dass der Abschottungswahn Europas ein neues Ausmaß angenommen hat“, kommentiert Anja Bartel, Geschäftsleiterin des Flüchtlingsrats. „Fliehende Menschen sollen daran gehindert werden, von ihrem Recht auf Asyl Gebrauch zu machen. Sie sollen in angeblich sichere Drittstaaten abgeschoben werden und ihre Asylgründe nur noch in rechtlich zweifelhaften Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen geprüft werden, während sie in Grenzlagern festgehalten werden“, so Bartel weiter. Noch im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, sich dafür einsetzen zu wollen, das Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden. „Wir sind entsetzt darüber, wie skrupellos die Bundesregierung ihren humanitären Versprechen aus dem Koalitionsvertrag den Rücken zukehrt und nun gemeinsam mit rechtspopulistischen Regierungen Pläne schmiedet, wie Europa noch weiter in eine Festung verwandelt werden kann“, so Bartel weiter. „Bei den verabschiedeten Plänen handelt es sich keinesfalls um einen ‚historischen Erfolg‘, wie Innenministerin Nancy Faeser behauptet, sondern um einen massiven Angriff auf Menschenrechte in Europa.“ Statt ihre Energie mit Abschottungspolitik zu verschwenden und die Entrechtung geflüchteter Menschen voranzutreiben hatte der Flüchtlingsrat die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich für eine solidarische Aufnahme Geflüchteter in Europa einzusetzen.
Auf einer Kundgebung in Freiburg am Vorabend der Verhandlungen in Brüssel stellten auch Aktivist_innen der "Aktion Bleiberecht" klar: Es ist an der Zeit, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen & gemeinsam nach menschlichen und fairen Lösungen suchen. Die Welt schaut auf uns", heißt es in der Rede von Ali Sari, Vorstandsmitglied im Migrant_innenbeirat der Stadt Freiburg und Projektmanager und Gründer von einem Kindergarten in Syrien. Dies unterstreichen auch Melina Müller von aktion Bleiberecht Freiburg und Georg Albiez von Seebrücke Freiburg mit zahlreichen Beispielen in ihren Rede. Von den EU-Mitgliedsstaaten wurde im Vorfeld unter anderem eine Verschärfung des Dublin-Systems gefordert, welche die Einstufung von deutlich mehr Drittstaaten als sicher und damit Abschiebung in diese ermöglichen soll. Grenzverfahren unter Haftbedingungen, vermehrte Pushbacks sowie die Inhaftierung von Kindern in Lagern drohen - letztlich die Aushebelung des Flüchtlingsschutzes. Die geplanten Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen, sogenannte Außengrenzverfahren, werden zu einer systematischen Inhaftierung in Lagern führen und keinen fairen und rechtsstaatlich abgesicherten Asylprozess gewährleisten.
„Derartige Änderungen im Asylsystem werden zu noch mehr erheblichen Menschenrechtsverletzungen sowie verhinderbaren Todesfällen führen außerdem ermöglicht es weitere willkürliche Abschiebungen in Dritt- und Herkunftsländer“, so die 25-jährige Studentin und Organisatorin Luise Laakmann.
"Es ist offensichtlich, dass weiterhin auf Abschreckung durch Verschärfung des Asylrechts gesetzt werden soll. Aber wie wir in einer der heutigen Reden gehört haben, ist der Wunsch nach Freiheit und Würde bei den Menschen größer als alle möglichen Gefahren und Hindernisse. Menschen fliehen nicht grundlos. Statt eine Verschärfung des Asylrechts zu verfolgen, müssen sichere Möglichkeiten und Wege für Asyl geschaffen werden", kritisiert eine Teilnehmerin nach der Kundgebung.