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Januar 2011 offen


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Putschversuch und Proteste in Peru :: Maja Tillmann

Maja Tillmann ist Halb-Peruanerin aus Nehren und über den Jahreswechsel in Peru gewesen. Sie berichtet in einer Liveschaltung vom gescheiterten Selbst-Putsch des Ex-Präsidenten, seiner Amtsenthebung und Inhaftierung sowie der anschließenden Proteste und der tiefen Spaltung des Landes. Das Interview führten wir am 4. Januar, dem letzten Tag der Protestpause über die Feiertage. Im Anschluss flammten die Proteste und besonders die gewaltvolle Repression wieder auf mit mehr als 20 Todesopfern und vielen Verletzten.

Pedro Castillo hatte vor etwa eineinhalb Jahren als unbekannter Politiker, als Lehrer vom Lande die Wahlen gegen die Tochter des Ex-Diktators Keiko Fujimori gewonnen. Als Präsident an der Macht hatte er viele Probleme und im Lauf der Zeit mehr und mehr Probleme mit dem Kongress, aber auch mit Korruptionsvorwürfen.

Am 7. Dezember 2022 versuchte er, dem dritten Amtsenthebungsverfahren wegen moralischer Nichteignung gegen sich durch eine Art Selbst-Putsch, also durch die Auflösung des Parlaments zu entgehen. Bei der Verkündung der Auflösung bediente sich Pedro Castillo derselben Wortwahl wie Ex-Diktator Fujimori anno 1992. Das weckte bei Maja Tillmann sehr unschöne Erinnerungen und ließ sie erschaudern.

Sie hat das Gefühl, Castillo wurde in eine Falle gelockt, er hatte keinerlei Rückhalt bei Polizei oder Militär für diesen Schachzug und wurde schließlich auf der Flucht zum Asyl in der mexikanischen Botschaft festgenommen. Das Parlament hat dann nach erfolgter Amtsenthebung die Vizepräsidentin Dina Boluarte zur Präsidentin erklärt.

Daraufhin kam es im ganzen Land, besonders aber im Süden, im Hochland, in den Teilen mit hohem Anteil indigener Bevölkerung zu einer massiven Protestwelle. Dies wertet Maja weniger als Solidaritätsbekundungen für Pedro Castillo als dass die Menschen wütend und tief enttäuscht sind von der Politik, von der sie sich verraten und nicht repräsentiert fühlen.

Der Staat, die Polizei und auch das Militär reagierten auf die Proteste mit brutaler Gewalt, neben Tränengas und Schlagstöcken setzten sie auch Schusswaffen ein, es gab schon vor den Weihnachtsfeiertagen mehr als 20 Tote zu beklagen. Niemand scheint dafür Verantwortung übernehmen zu wollen, eine Bestrafung der Täter scheint unwahrscheinlich. Die Interimspräsidentin sagte lapidar, sie habe niemandem einen Schießbefehl erteilt.

Ein Reflex des Establishments auf drohenden Machtverlust ist zudem die Diskreditierung und Delegitimierung der Proteste, indem die Menschen, die auf die Straße gehen, pauschal in die Ecke des Terrorismus gestellt werden. Es bestehe überhaupt nicht die Bereitschaft, zu verstehen, was die Proteste ausgelöst habe.

Peru ist tief gespalten zwischen der privilegierten, zentralisierten Insel der Hauptstadt Lima und den über Jahrhunderte benachteiligten und abgehängten Regionen. Das bestehende politische System scheint keinen Ausweg aus der Misere zu bieten. Es brauche einen komplett neuen Ansatz für Beteiligungsprozesse in sicheren Räumen, in denen sich die Menschen äußern können, in was für einem Land sie eigentlich leben möchten.

Weitere Infos gibt es bie der Informationsstelle Peru (Deutsch) oder  Wayka (spanisch), einer gemeinnützigen Online-Zeitung, die sich selbst als Organisation bezeichnet, die sich für die Förderung der Demokratie, den Schutz der Menschenrechte und die Verwirklichung des Gemeinwohls einsetzt.


Audio

Download (69,07 MB)
Maja_Tillmann_Peru.mp3





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