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Mit Kreide gegen Catcalling- Tübinger Initiative macht Belästigung sichtbar
Caro hat selbst erlebt, wie sich verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum anfühlt – sogenannte Catcalls. Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus gründete sie die Initiative Catcalls of Tübingen. Gemeinsam mit Benni und weiteren Student*innen engagiert sie sich heute dafür, Betroffenen eine Stimme zu geben und auf das Thema aufmerksam zu machen.
„Wir wollen zeigen, dass solche Erlebnisse nicht harmlos oder Einzelfälle sind“, sagt Benni. Die Umsetzung ist einfach, aber wirkungsvoll: Wer Catcalling erlebt hat, kann der Initiative anonym per Instagram oder E-Mail die eigene Geschichte schicken. Die Aktivist*innen bringen den jeweiligen Spruch dann mit Kreide an dem Ort an, an dem die Belästigung stattgefunden hat – versehen mit dem Hashtag #stopptbelästigung, dem Instagram-Namen und einer Kontaktadresse.
Bei einer Kreideaktion laufen die Aktivist*innen in der Regel etwa vier bis fünf Orte ab – besonders häufig betroffene Orte wie der Hauptbahnhof, die Neckarbrücke oder Bushaltestellen. Das Ziel ist es, auf solche Vorfälle aufmerksam zu machen und eine Diskussion darüber anzuregen.
Doch ab wann gilt etwas als Catcalling? Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach, denn es gibt keine klaren Kriterien, die man an einem Vorfall festmachen kann. Der Konsens ist jedoch: Es gilt als Catcalling, sobald es für die betroffene Person unangenehm ist. Dabei geht es nicht nur um Worte, sondern auch um Blicke, Gesten oder Geräusche – und darum, wie diese von der betroffenen Person wahrgenommen werden. „Es ist ein schwieriges Thema, weil es so normalisiert ist“, erklärt Caro. „Genau deswegen ist unsere Arbeit wichtig, um zu zeigen, dass es nicht normal ist.“
Die Reaktionen von Passant*innen auf die Kreideaktionen sind gemischt. Viele zeigen sich interessiert und unterstützen das Anliegen. Einige reagieren schockiert, wenn sie erfahren, dass Catcalling in Deutschland nicht strafbar ist. „Manchmal wird es auch so ein bisschen belächelt“, erzählt Benni. Bei einer Kreideaktion mit dem SWR erlebten die beiden aber auch besonders berührende Momente: Ein älterer Mann blieb stehen, las die Kreidebotschaft und zeigte sich betroffen. Eine ältere Dame kam ins Gespräch und teilte persönliche Erfahrungen – ein Zeichen dafür, wie wichtig es ist, über das Thema zu sprechen.
Denn Catcalling ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch ein Tabu. Die sogenannte Täter-Opfer-Umkehr – also die Schuldzuweisung an die betroffene Person – spielt dabei eine zentrale Rolle. Laut Studien wird nur rund jede zwanzigste Belästigung überhaupt zur Anzeige gebracht. Und selbst dann erleben viele Betroffene zusätzliche Enttäuschung: Ein Drittel derjenigen, die Anzeige erstatten, machen negative Erfahrungen mit der Polizei – etwa, weil ihre Aussage heruntergespielt oder auf das eigene Verhalten reduziert wird. Aussagen wie „Schau doch mal, was du anhattest“ sind keine Seltenheit.
Genau hier setzen die Kreideaktionen an: Sie machen sichtbar, was sonst verdrängt wird. Die Kreidebotschaften im öffentlichen Raum sind eine Form des stillen Widerstands – und ein bewährtes Mittel feministischer Protestkultur. Auch wenn der Regen die Worte irgendwann wegwäscht: Die Beiträge bleiben als Foto auf Instagram sichtbar.
„Catcalling ist in Deutschland weiterhin nicht strafbar“, betont Caro. Umso wichtiger sei es, das Thema öffentlich zu machen. In besonders schweren Fällen verweist die Initiative an entsprechende Beratungsstellen, versteht sich selbst aber nicht als psychosoziale Anlaufstelle, sondern als aktivistische Bewegung. Finanziert wird das Projekt durch Spenden.
Und wie sollte man selbst reagieren, wenn man Catcalling beobachtet? „Nicht wegschauen – einschreiten!“, sagt Benni. Auch kleine Gesten der Solidarität können einen Unterschied machen – etwa, indem man der betroffenen Person Rückhalt gibt oder die Situation sichtbar macht.
Wer Catcalls of Tübingen kontaktieren will, erreicht die Initiative auf Instagram unter @catcallsoftuebingen oder per E-Mail an tuebingen@chalkbackdeutschland.org.
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