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Clubhaus weg, Konzerthaus her - eine schlechte Idee

An Dreistigkeit nicht zu überbieten ist der neueste Vorschlag für den Standort des geplanten Konzertsaals: eine Gruppe von "Tübinger Bürgern" möchte das studentische Clubhaus beerdigen und auf dessen Gelände das neue Prestige-Objekt erbauen.

Ein dreister Vorschlag zu einem alten Thema bewegt Tübingen.

Seit vielen Jahren steht der Bau einer Konzerthalle im Kulturkonzept der Stadt Tübingen, und vor einigen Jahren hat sich der Verein „Ein Saal für Tübingen“ gegründet, der die Entstehung eines solchen Kulturobjekts vorantreiben und durchsetzen will, trotz der schwierigen Gelände-Suche. Nun waren ja in jüngster Zeit das Uhlandbad und der Europaplatz bzw. Anlagenpark als Standort für eine solche Konzerthalle im Gespräch, die aber entweder wegen beengten Verhältnissen oder wegen zu viel „Mobilität“ am Europaplatz nicht gefallen. Für den Europaplatz wird auch befürchtet, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht groß genug sein könnte – weil der Anlagenpark sowieso schon durch den neuen Busbahnhof verkleinert wird.

Letzte Woche kam eine Gruppe aus sogenannten „musikliebenden Tübinger Bürgern“ mit dem Vorschlag ins Tagblatt, man könne das Konzerthaus doch da bauen, wo gerade das Clubhaus steht. Als ob das mehr Akzeptanz erfahren würde?

Der Vorschlag, das Clubhaus abzureißen und dafür eine Konzerthalle dort zu bauen, stammt von einer Tübinger Gruppe, die sich gruppieren um die Kunsthistorikerin, Architekturexpertin und Ehrensenatorin der Uni Tübingen Ursula Schwitalla, und Marc Oßwald, der eine 100%ige Tochterfirma von Eventim Live führt, um die Tagblatt-Journalistin Ulrike Pfeil, und den Architekten Florian Danner, dessen Architekturbüro u.a. bei der Planung und Umsetzung des Neckarbogens und des Egeria-Geländes beteiligt ist.

Sie erläutern, dass zu einem Konzertsaal eine gewisse Festlichkeit gehört, dass keine Anwohner durch Publikumsverkehr gestört werden sollen und das Gebäude gut angebunden sein muss. Das klingt soweit gut!

Im weiteren klingen ihre Aussagen dann aber so, als hätten sie zuviel CyberValley-Gesäusel abbekommen. Sie sprechen von einer "kreativen Klasse", die sich wegen der Ansiedlung von Technologiefirmen in Tübingen vergößert habe und internationaler geworden sei. Daher bräuchte man nun auch einen elitären Konzertbau mit "überregionaler Strahlkraft". Das klingt nun ziemlich genau wie aus einer Pressemitteilung aus dem CyberValley.

Alle Kriterien für einen guten Kulturstandort, so meint die Gruppe, finden sich eben genau dort, wo seit circa 80 Jahren das Clubhaus steht. Und gut aussehen würde es dort auch – gegenüber des anderen Prestige-Gebäudes, der Neuen Aula, und zudem schön an der Ammer gelegen, und viele Buslinien verkehren dort auch – oder in Zukunft eben doch die Stadtbahn, wie sich auf der Photomontage im Tagblatt erahnen lässt. Und Anwohner würden "kaum" gestört. Die Bewohner und Bewohnerinnen der Wilhelma, des Wohnprojekts direkt hinter dem Clubhaus, sind jedoch mit keinem Wort im Bericht des Tagblatts erwähnt, vermutlich hat man sie auch nicht dazu befragt.

Den "musikliebenden Tübinger Bürgern" ist durchaus bewußt, dass ihr Wunschgelände bereits vom Clubhaus besetzt ist, aber ein großes Problem sehen sie darin nicht. Sie meinen, die Uni müsse nur ein exzellentes Konzerthaus für ihre exzellenten Wissenschaftler stark genug befürworten, dann geht es bestimmt klar, den Studierenden das Clubhaus wegzunehmen. Die Argumentation geht so: das lehrende und forschende Personal der Uni braucht etwas, was sie in Tübingen hält. Das lehrende und forschende Personal soll also nicht abwandern. Aha. Das lehrende und forschende Personal (und übrigens auch die wichtigste Gruppe an einer Uni: die Studierenden!) werden jedoch sicherlich nicht über ein „exzellentes“ Kulturprogramm in Tübingen gehalten. Was eher fehlt, ist eine stabile Grundfinanzierung der Uni, insbesondere der Fakultäten im Tal. Gebraucht wird eine solide Ausstattung und unbefristete Arbeitsverträge in Forschung und Lehre. Wozu brauchen die Uni-Angehörigen einen Konzertsaal in unmittelbarer Umgebung, wenn es nicht mal die übliche universitätsnahe Infrastruktur wie Schreibwarenläden, Buchhandlungen, oder ganz normale Bäcker gibt? Und ganz nebenbei wäre es doch schön, wenn die nicht-technologie-besessenen Wissenschaften doch wenigstens ihr Tal behalten dürften, wenn sie doch sonst schon aus dem Blickfeld von Uni und Stadt vertrieben werden durch exzellente Technologie-Riesen. Eine Möglichkeit, beide Wünsche zu verbinden – ein attraktiveres Tübingen und der Genuss bürgerlicher Kultur – wäre doch endlich mal ein Abkommen zwischen Naldo und VVS oder der Bahn, sodass die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Stuttgart für alle machbar ist und die Menschen dort in die Oper gehen können.

Den „musikliebenden Tübinger Bürgern“, die für ihren Akustik-Klotz gerne das Clubhaus einstampfen würden, ist auch die Geschichte und Idee des Clubhauses bekannt. Und was folgt, ist ein Schlag ins Gesicht der Studierenden, ins Gesicht der geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer, und ins Gesicht der Entnazifizierung: „Sein Zweck als Zentrum des studentischen Lebens und der Selbstverwaltung ist mit der Zeit abhanden gekommen, nicht zuletzt durch die Abwanderung eines großen Teils der Universität auf die Morgenstelle.“

Sie räumen entgegen ihrer eigenen Argumentation ein, dass andere Räume für die politische Selbstorganisation der Studierenden gefunden werden müssten, zum Beispiel in der Neuen Aula. Und, Zitat: „Selbst ein Club für Studenten könnte im neuen Konzert-Bau einen Ort finden. Die beliebte Cafeteria mit Garten ließe sich in den Konzertsaalbau integrieren und könnte als Tagescafé geöffnet bleiben. Der Konzertsaal braucht ohnehin Gastronomie.“ Nun sollen also im Konzertsaalcafé die Studis ihre Referate besprechen, die nächste Demo planen, oder auskatern? Der Gedanke, das Clubhaus in Tübingens neuestes Statussymbol mit CyberValley-Charakter zu integrieren, ist herablassend, und diesen Gedanken öffentlich auszusprechen, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Es geht beim Clubhaus nicht um einen Club. Und ein Platz in der Neuen Aula oder gar in einem bürgerlichen, kapitalistischen Konzertbau kann das Clubhaus niemals ersetzen: denn das Clubhaus wurde zum Zwecke der studentischen Selbstverwaltung, zum Zweck der Demokratisierung, erbaut und wurde der Studierendenschaft im Rahmen der Entnazifizierung übergeben. Diesen Zweck kann ein Platz im Prestigeobjekt der Uni oder Stadt schon aufgrund der dahinterstehenden Ideologie gar nicht erfüllen.

Dieser Ansicht ist auch ein anonymer Analyst, der auf der linken Info-Plattform tueinfo.org ebenfalls über die Pläne der "musikliebenden Tübinger Bürger" informiert – und diese offenbar selbst nicht glauben kann, wie an dem Zusatz "Kein Witz!" abzulesen ist. Diese Person leitet ihren Beitrag mit der berechtigten Frage ein: „Wie konnte es passieren, dass im Nationalsozialismus gerade auch die akademische Elite an der Tübinger Universität sich so weitgehend hinter Faschismus und Krieg gestellt hat?“ und schreibt weiter: „Diese Frage stellten sich nach der Befreiung auch Angehörige der beiden in Tübingen präsenten Siegermächte, Frankreich und die USA. In der Konsequenz wurde nicht nur bundesweit die Selbstverwaltung und Autonomie der Hochschulen gestärkt, sondern auch ganz konkret mit Räumen ausgestattet. Gerüchten zufolge gehen das Leibniz-Colleg und die Leibnizhäuser auf französische Initiativen zur Demokratisierung der Tübinger Hochschullandschaft zurück, das Clubhaus wurde auf jeden Fall aus den USA finanziert und der Studierendenschaft mit dem Ziel übergeben, Selbstverwaltung und demokratische Strukturen an der Uni zu stärken.“ Der Verfasser des Artikels allerdings kommt zu dem Schluß: „in der Amazon-Uni ist kein Platz mehr für Selbstverwaltung“.

Der Bericht des Schwäbischen Tagblatts vom 23.9. über den neuen Konzertbau-Standort war überschrieben mit "Großer Wurf mit Knackpunkt Clubhaus". Ein Leser des Tagblatts kommentiert dies folgendermaßen:

„Konzertsaal: Großer Wurf mit Knackpunkt Stiftskirche. Würde niemand schreiben. Der denkmalgeschützte, zentrale Versammlungsort für über 27 000 Studierende scheint einer Initiative aber entbehrlich. Zweckentfremdet sei das Clubhaus heute, so die Initiative, die den großbürgerlichen Traum vom Tübinger Konzertsaal mitten auf dem Unicampus realisieren will.

Doch das Gebäude ist auch deshalb denkmalgeschützt, weil es eine freie Entwicklung studentischer Aktivitäten, politisch, kulturell, musisch oder gar sportlich, ermöglicht. Gerade die flexible Nutzung und Umgestaltung der Räume war der zentrale Teil der Planung. Die Architekturexpertin Schwitalla sollte das eigentlich wissen. Das 1956 zur demokratischen Bildung und Entfaltung der Studierendenschaft erbaute Haus ist heute vielleicht wichtiger denn je. Die Initiative wird ertragen müssen, dass eines der bestgelegenen Grundstücke des Campus bereits von einem Studierendenhaus belegt ist. Es darf keinesfalls dem prätentiösen Grandeur einer Konzerthalle weichen.“

So ist es. Empört euch!

 

Aktuelles aus dem Clubhaus:

Vom 18.10. bis zum 27.10. ist wieder eine Blochwoche geplant!

Im Ankündigungstext auf www.blochwoche.org heißt es:

Um zu zeigen, dass eine andere Welt machbar ist, veranstalten wir in diesem Jahr erneut eine Ernst-&-Karola-Bloch-Woche als kritische, alternative Semestereinführung.

Die Ernst-und-Karola–Bloch–Woche bietet Dir einen Einblick in das kritische, alternative Tübingen und wird von vielen engagierten Gruppen solidarisch gemeinsam getragen und organisiert. Wir laden Dich ein, die Veranstaltungen nicht nur zu besuchen, sondern diese neue Welt mitzugestalten.

Höhepunkt ist der Alternative Dies (im Gegensatz zum offziellen Dies Universitatis in der Neuen Aula, wo sich insbesondere auch Verbindungen vorstellen) am Donnerstag, den 20.10. von 16 bis 19 Uhr im Clubhaus.

Das komplette Programm der Blochwoche gibt es unter www.blochwoche.org !

Das Programm des AlDi gibt es hier.



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