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Wir leben trotzdem - Eine Sendung in Erinnerung an Esther Bejarano

Am Morgen des 10. Juli 2021 starb Esther Bejarano im Alter von 96 Jahren. In Erinnerung an sie spielen wir in dieser Sendung eine Stunde lang Musik und Texte der Antifaschistin, die Auschwitz überlebte und ihr Leben lang Zeugin und Kämpferin blieb.

LINK ZUR SENDUNG: Die komplette Sendung könnt ihr bis sieben Tage nach der letzten Ausstrahlung  in der Mediathek der Wüsten Welle nachhören → Link zur Mediathek

Esther Bejarano wurde im Dezember 1924 in Saarlouis als fünftes Kind eines jüdischen Kantors und einer aus Thüringen stammenden Lehrerin geboren. Schon früh konnte sie sich für Musik begeistern, lernte Klavier spielen und begann zu singen. Ihre Leidenschaft zur Musik rettete später ihr Leben.

Im Laufe ihres damals noch jungen Lebens verschärfte sich der antisemitische Terror unter den Nazis, vor dem ihre Familie vergeblich versuchte zu flüchten. Die Flucht misslang. Als sie 16 Jahre alt war, musste sie Zwangsarbeit leisten, ihre Eltern wurden nach Litauen verschleppt und ermordet. 1943 wurde Esther selbst nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte, weil sie vorgab Akkordeon spielen zu können und so in das Mädchenorchester von Auschwitz aufgenommen wurde. Nach Ihrer Verlegung ins KZ Ravensbrück in Brandenburg indem Sie für die Siemenswerke Zwangsarbeit leisten musste, wurde sie im April 1945 als die sowjetischen Truppen sich näherten auf einen Todesmarsch nach Malchow in Mecklenburg-Vorpommern geschickt.Auf dem Todesmarsch gelang ihr die Flucht.

Nach der Befreiung ging Esther Bejarano nach Palästina. Hier lernte sie 1950 ihren Mann, den Kommunisten Nissim Bejarano kennen und brachte ihre Kinder zur Welt. Doch sie kamen immer mehr in Konflikt mit der Politik der israelischen Regierung. Esthers Mann weigerte sich als Soldat die Kriege Israels mit zu führen, die Esther Bejarano klar als Angriffskriege bewertete. Davon konnten und wollten die Bejaranos kein Teil sein. Esther Bejarano war überzeugte Kriegsgegnerin, Antifaschistin und Antirassistin. Das hieß für Esther Bejarano selbstverständlich auch Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Auch später blieb Esther Bejarano eine Kämpferin und zwar nicht im Sinn der Herrschenden. Es war ihr immer klar, dass wir uns im Kampf gegen Rassismus und Faschismus nie auf den Staat verlassen dürfen. In dem Nachruf "Nicht nur Zeugin, sondern auch Kämpferin" wird daran erinnert, dass Esther Bejarano 1999 aus der SPD austrat "nachdem die rot-grüne Bundesregierung Jugoslawien überfallen und damit den ersten deutschen Krieg nach 1945 begonnen hatte. Ihre neue Heimat wurde die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Zwei Tage vor ihrem Tod musste Esther noch erleben, wie dieser wegen Formfehlern der Status als Wahlpartei abgesprochen wurde, weshalb sie im Herbst nicht an den Bundestagswahlen teilnehmen darf und außerdem um ihre finanzielle Existenz fürchten muss. Einen ähnlichen Angriff hatte es schon zwei Jahre zuvor gegen die andere größere Organisation gegeben, in der Esther tätig war: 2019 wurde der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA), deren Ehrenvorsitzende sie war, zwischenzeitlich der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt, weil sie in einem Verfassungsschutzbericht auftauchte. Schließlich war Esther auch eine Kritikerin der herrschenden Flüchtlingspolitik und bezeichnete das Agieren der EU in dieser Frage als „Schande“."

In der Nacht auf den 10. Juli 2021 ist Esther Bejarano ruhig und friedlich eingeschlafen. Die Band Microphone Mafia, mit der Esther zahlreiche Lieder aufgenommen und fast 900 Konzerte gegeben hat, schreibt: "Liebe savta, jetzt bis Du körperlich nicht mehr bei uns. Auch Du musstest diesen Weg jetzt antreten und es schmerzt sehr. Es gibt so viel zu sagen und dennoch sind Worte nicht genug. Dein Lachen, dein Mut, deine Entschlossenheit, deine liebevolle Art, dein Verständnis, dein kämpferisches Herz -Alles, alles wird fehlen." Eines ihrer Bücher hat den Titel: "Wir leben trotzdem". Esther Bejarano lebt. In ihren Liedern, ihren Reden, in ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit die uns Mahnung und Vorbild sein sollen. Wie Esther Bejarano es bei so vielen ihrer Konzerte mit lauter, klarer Stimme gesungen hat:

Wir wollen leben und erleben
schlechte Zeiten überleben.
Wir leben ewig, bis in den Tod.

 

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Den Nachruf "Nicht nur Zeugin, sondern auch Kämpferin" von Leon Wystrychowski könnt ihr in ganzer Länge hier nachlesen.

Hier findet ihr den Nachruf des VVN-BdA "Wir werden sie nie vergessen"

Die Rede von Esther Bejarano zum Tag der Befreiung, die sie am 3. Mai 2021 gehalten habt findet ihr hier als Video und zum Nachlesen.

Der Nachruf ihrer Band Microphone Mafia kann hier nachgelesen werden.


Sendetermine

Offener Sendeplatz

19.07.2021 15 Uhr

Offener Sendeplatz

22.07.2021 14 Uhr



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