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 Politik & Gesellschaft


AKTIONSMONAT MAI 2017

Mai 2017 Juni 2017


Beiträge & Artikel

Freie Kommunikation. Gegen Rechts.

Was ist zu tun gegen den Aufstieg rechter Parteien? Wie verhindern wir einen europäischen Trump? Warum lassen sich so viele Wähler_innen in den USA und in Europa nicht mehr mit Fakten und Inhalten überzeugen? Welche Rollen spielen dabei die Medien? Wohin entwickeln sich unsere Gesellschaften und was passiert mit unserer politischen Kultur? Unsere Gesellschaften brauchen dringend guten Journalismus, bessere Medienbildung und freie, offene Kommunikation!

Dieser Text erschien zuerst im Januar 2017 als Leitartikel unseres halbjährlichen Programmhefts "Wellenreiter".

Der Wandel des Donald Trump von einem schlechten Scherz zu einem „ernstzunehmenden“ Präsidenten war rasant und für viele überraschend. 

Es ist nicht davon auszugehen, dass die US-Amerikaner_innen innerhalb weniger Wochen plötzlich alle zu Rassist_innen geworden sind: Was sich also in diesem Wahlergebnis ausdrückt, das muss schon vorher existiert haben – nicht nur in den USA, sondern auch auf unserer Seite des großen Teichs. Bereits seit längerer Zeit warnen Extremismusforscher_innen auch in Deutschland davor, dass viel mehr auf Minderheiten bezogene Menschenfeindlichkeit im Land existiert, als die Wahlergebnisse es noch bis vor Kurzem zeigten. Der Aufstieg der AfD in der ganzen Republik, die Anschlagswelle auf Unterkünfte für Asylbewerber_innen, die kein Ende zu finden scheint, offene Ausdrücke von Hass auf Demos und im Internet und zunehmende körperliche Angriffe auf Migrant_innen, Menschen mit muslimischer und jüdischer Religion oder mit nicht-heteronormativer sexueller Orientierung oder Geschlechteridentität werfen viele Fragen darüber auf, was mit unseren Gesellschaften passiert.

Unsere Kommunikationskultur entwickelt sich immer weiter weg von dem Ideal eines kooperativen, demokratischen Miteinanders. Das führt zunehmend zu einer Athmosphäre der sozialen Kälte und zu politischer Passivität. Würde sonst nicht längst ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen, wenn die Jugendorganisation der CDU fremdsprachige Kundgebungen untersagen will und dabei das Grundgesetz vollkommen außer Acht lässt; wenn der NSU mordend durch die Republik zieht; wenn Errungenschaften der liberalen Gesellschaft wie Gleichberechtigung, Medienfreiheit oder Versammlungsfreiheit offen der Kampf angesagt wird; wenn die offenen Grenzen Europas (die für uns Bürger_innen größte Errungenschaft der europäischen Vereinigung) plötzlich wieder geschlossen sind oder wenn sämtliche Errungenschaften des Sozialstaats offen angezweifelt werden?

Längst sind es nicht mehr nur Minderheiten, die sich zunehmenden und immer extremeren Anfeindungen ausgesetzt sehen: Auch die Gruppen der Expert_innen und Journalist_innen sowie politische Kräfte des linken Spektrums geraten zunehmend in ein populistisches Sperrfeuer, das wir noch vor wenigen Jahren für unvorstellbar gehalten hätten. 

Bevor Rechtsextreme auch in Deutschland eine kritische Masse erreichen, muss die Gesellschaft – müssen wir – aufhören nur erstaunt und defensiv zu reagieren, sondern unsere gemeinsamen Werte aktiv vertreten. 

 

SOZIALE MEDIEN: DURCHLÄSSIGKEIT VERSUS REGULIERUNG

Einer der Gründe, warum die demokratischen Ordnungen gerade der sogenannten „westlichen Demokratien“ wanken, hat damit zu tun, dass das Wesen von „Öffentlichkeit“ einem Wandel durch die sozialen Medien unterworfen ist: Wer bei Facebook und Twitter genug Follower hinter sich bringen kann, ist in der Lage, die Leser_innenzahlen von Tageszeitungen und selbst die Zuschauer_innenzahlen von (politischen) Fernsehsendungen locker zu überbieten. Die sozialen Medien spielten eine große Rolle beim Erfolg sowohl der oppositionellen Kräfte des „arabischen Frühlings“ als auch Donald Trumps.

Die sozialen Medien machen politische und gesellschaftliche Strukturen durchlässiger – was ja im Prinzip etwas Positives ist. Dennoch ist die Regulierung äußerst zweifelhaft – Facebook ist hier das beste Beispiel: Je aggressiver und lauter ein Post oder ein Kommentar ist, desto weiter und breiter verteilt der Algorithmus von Facebook ihn. Der Wahrheitsgehalt und die Ausgewogenheit der Nachricht spielen dabei keine Rolle. Besonders stark wirken gerade im Internet technische und soziale Filterblasen: Medienkonsument_innen werden – durch personalisierte Suchergebnisse und die Empfehlungen ihres Freundeskreises in den sozialen Medien – hauptsächlich auf solche Nachrichten und Meinungstexte aufmerksam gemacht, die den Ansichten entsprechen, die sie ohnehin bereits haben. Im Extremfall können Menschen dadurch in einer Vorstellungswelt leben, die sich ausschließlich aus nationalpopulistischen Medien speist. Sie sind damit von der Welt der ­Traditionsmedien vollständig abgeschnitten und deren Nachrichten passen nicht mehr in ihr Weltbild, was sich nicht zuletzt im Propaganda-Begriff der „Lügenpresse“ zeigt.

 

REGULIERUNG, MEDIENKOMPETENZ, TRANSPARENZ

Drei Faktoren sind hier besonders wichtig: Regulierung der sozialen Medien, verstärkte Herausbildung kritischer Medienkompetenz und eine höhere Transparenz politischer Meinungsbildungsprozesse.

Bei den sozialen Medien braucht es ein ähnliches Instrument wie den deutschen Presserat –  nur viel schneller und flexibler. Facebook kann schon heute Personen und Seiten verifizieren und Inhalte aussortieren. Es braucht aber gemeinsame Regeln und wirksame Selbstverpflichtungen, damit nicht nur weibliche Brustwarzen, sondern auch Postings mit hasserfüllten und schlicht und ergreifend falschen Inhalten aussortiert werden können. 

In einem weiteren Schritt müssen die Konsument_innen aller Formen von Medien besser auf den Konsum vorbereitet werden. Da die „Qualitätsmedien“ selbst nur wenig Chancen haben, in die nationalpopulistische Filterblase einzudringen, können sie auch die gegen sie erhobenen „Lügenpresse“-Vorwürfe nur schlecht ausräumen. Die Hoffnung liegt hier vielmehr in einer besseren Verankerung kritischer Medienkompetenz in der Bevölkerung. 

Unter „kritischer Medienkompetenz“ verstehen Freie Radios die Vermittlung technischer, aber auch sozialer und journalistischer Fähigkeiten zur Medienproduktion. Diese Skills sollen den Ausgebildeten helfen, die Entstehung von Medienprodukten zu verstehen, sich besser und informierter in der heutigen Medienwelt zu orientieren und somit selbst die Qualität der ihnen gebotenen Informationen einzuschätzen. Die Vermittlung dieser Medienkompetenz wird bisher in erster Linie von Institutionen der politischen Bildung und den Freien Medien übernommen. Die öffentlich-rechtlichen und privatkommerziellen Medien wie auch die Schulen müssen hier viel stärker in die Pflicht genommen und die bestehenden Anstrengungen besonders der chronisch unterfinanzierten Freien Medien viel besser gefördert werden.

Der dritte Punkt trifft die neoliberale Politik der westlichen Demokratien, die immer noch, wenn nicht sogar mehr als je zuvor, hinter verschlossenen Türen in Berlin, Paris, Washington und Brüssel stattfindet: Wir brauchen mehr Transparenz und mehr echte Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Partizipation in unseren politischen Prozessen. Abgeordnete sollten verpflichtet werden, ihre Beziehungen in die Wirtschaft und zu Lobbyisten sowie Nebentätigkeiten offenzulegen. Nicht nur die Plenarsitzungen, sondern auch die Ausschuss-Sitzungen (in denen letztlich die wirklichen Entscheidungen getroffen werden), sollten live übertragen werden. Bisher finden sie fast immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es gibt jedoch keinen sichtbaren politischen Willen, solche Veränderungen anzugehen. 

 

FREIE KOMMUNIKATION UND FREIE MEDIEN

Wir verwenden den Begriff der Freien Kommunikation, um zu beschreiben, wie wir bei den Freien Radios arbeiten und leben: Das Freie Radio Wüste Welle ist ein eingetragener Verein, der mit basisdemokratischen Strukturen arbeitet – wo also wichtige Entscheidungen gemeinsam getroffen und wichtige Debatten kooperativ und auf Augenhöhe geführt werden. Wir schreiben uns außerdem die Niederschwelligkeit auf die nichtvorhandenen Fahnen: Es ist uns besonders wichtig, dass alle Menschen bei uns nicht nur auf Sendung gehen, sondern sich auch frei und nach ihren eigenen Interessen und Kompetenzen an allen Vorgängen beteiligen können. Dabei ist es uns besonders wichtig, wirklich alle Menschen anzusprechen, die nicht sexistisch, rassistisch oder sonstwie menschenfeindlich agieren – Menschen jeden Alters und Geschlechts, jeder Nationalität und kulturellen Herkunft, mit Behinderung oder ohne und unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Religion.

Dazu gehört natürlich auch die Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen, um auch ihre Stimmen hörbar zu machen und einen Kontrapunkt zu den vielen uninformierten Medienberichten und Beiträgen in diversen sozialen Medien oder im Dunstkreis von AfD, PEGIDA und Konsorten zu setzen.

 

IN WAS FÜR EINER WELT WOLLEN WIR LEBEN?

Nur dagegen ist nicht genug. Natürlich wollen wir uns deutlich gegen sämtliche rechtskonservative, rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen positionieren. Aber dennoch geht es um mehr als nur einen Kampf zwischen links und rechts. Es geht um gemeinschaftliche, freie Gestaltungsmöglichkeiten für alle Menschen hier in Deutschland, in Europa und auf der Welt. 

Dazu gehört auch,  für die Gleichberechtigung aller Geschlechter in allen Bereichen einzutreten, sich für die Erhaltung der Sozialsysteme und die Verbesserung der finanziellen und sozialen Situationen einzusetzen, in denen sich die sogenannten „Schwächeren“ unserer Gesellschaft befinden und eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit zu führen. 

Dazu gehört der Einsatz für freie Meinungsäußerung, für Medien, die frei von finanziellen und politischen Interessen agieren können, der Schutz und die Unterstützung freier Kunst und Kultur, ein Engagement für mehr politische Transparenz und gegen die Ausweitung der kapitalistischen Logik auf alle gesellschaftlichen Bereiche sowie der entschlossene Einsatz für eine sozial und politisch human orientierte Globalisierung, die mehr ist als nur wirtschaftsorientiert.

Veranstaltung(en) zu diesem Bericht

Mo, 01.05.2017
AKTIONSMONAT
In was für einer Welt wollen wir leben?




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