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Digitales Weiterleben : Wie die Digitalisierung unser Trauern beeinflusst

Die Digitalisierung nicht nur unser Leben verändert, sondern auch unser Sterben. Was ist mit der heutigen Technologie in Bezug auf digitales Trauern bereits möglich und welche Probleme kann das mit sich ziehen?

Während sonst Friedhöfe als Orte der Erinnerung an Verstorbene dienten, verlagert sich dieser Gedenkort zunehmend in die digitale Welt. Die sogenannte "Digital Afterlife Industry" verspricht Hinterbliebenen eine Interaktion mit Verstorbenen über Kommunikationsplattformen, Chatbots oder digitale Avatare. Diese Technologien werfen allerdings etliche ethische und rechtliche Fragen auf, womit sich das Forschungsprojekt "Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens" (EdiLife) an der Universität Tübingen beschäftigt.

Soziologe Matthias Meitzler und Medienkulturwissenschaftler Martin Hennig sind Teil dieses Forschungsprojektes und hielten bei der wöchentlichen "sITZung" am Institut für Theatrale Zukunftsforschung (ITZ) im Tübinger Zimmertheater einen Vortrag über das digitale Weiterleben.

Matthias Meitzler beschäftigt sich außerdem schon seit längerer Zeit mit dem Verhältnis von Sterblichkeit und Gesellschaft. Seine empirischen Forschungen behandeln Fragestellungen wie zum Beispiel: "Welche sozialen Mechanismen werden bei einem Todesfall in gang gesetzt? Welche Orte der Bestattung gibt es und wie haben sich diese im Laufe der Zeit verändert? Was tun Menschen, wenn sie trauern oder sich einander erinnern?" Dafür schaute er sich unter anderem über 1200 Friedhöfe an und war in Hospitzen, Krematorien und Fachmessen unterwegs und führte Interviews mit Expert_innen und Betroffenen.

Dabei konnte er beobachten, dass der geselschaftliche Umgang mit dem Lebensende zunehmend von digitalen Technologien mitbestimmt wird. Trauer- und Gedenkorte seien längst nicht mehr an einen festen geografischen Ort wie dem Friedhof gebunden. Die Zahl der Angebote im Internet habe vor allem in letzter Zeit stark zugenommen, zum Beispiel Trauerforen, Trauerapps oder virtuelle Friedhöfe, wo per Mausklick ein Grablicht angezündet werden kann.

Das sei aber noch längst nicht alles, was mit der heutigen Technologie im Hinblick auf Trauer und Gedenken möglich ist. Mit der App "Gone not Gone" können beispielsweise Sprachnachrichten von einer Person vor dessen Tod aufgenommen werden, die dann automatisch zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Hinterbliebenen versendet werden.

Martin Hennig, Postdoc am Internationalen Zentrum für Ethik und Wissenschaften (IZEW), stellte im Vortrag zwei modernere Modellprojekte vor, bei denen eine Art digitale Kopie einer verstorbenen Person erschaffen wird, mit der die Hinterbliebenen dann interagieren können:

Das erste Modellprojekt stammt von der Firma Amazon, was damit wirbt, den Sprachassistenten "Alexa" mit der Stimme einer verstorbenen Person zu betreiben. Dafür sollen wenige Sprachaufnahmen der Person ausreichen, dass die KI die Stimme nachahmen kann. In einem anderen Projekt aus Korea wurde ein verstorbenes Mädchen als digitaler Avatar wiederbelebt. Dessen Mutter konnte dann über eine Virtual Reality Brille und Bewegungssensoren mit ihrer Tochter interagieren.

Beim Versuch, reale Personen digital darzustellen, stellt sich aber immer auch die Frage nach Menschenbildern: Wie soll eine Person dargestellt werden? Wenn sie beispielsweise eine sichtbare Hautkrankheit hat, ist es eine Art wiedererkennungsmerkmal oder ein Makel? Soll diese dann auch dargestellt werden? und wie möchte die verstorbene Person selbst dargestellt werden?

In Bezug auf Trauer und Verlust stellt sich dabei auch die Frage, wie hilfreich derartige Technologien für Trauernde sein können: Kann die Interaktion mit einem Avatar bei einem Trauerprozess wirklich helfen oder wird er dadurch nur aufgehalten? Denn beim Trauern geht es doch eigentlich darum, Abschied zu nehmen und abschließen zu können.

 

 

 


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