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Frauenfilmtage :: Sara Aduse und Angélica Cruz Aguilar

Sara Aduse, Protagonistin des Films "Do You Remember Me?" und Angélica Cruz Aguilar, Regisseurin des Films "Vivas" berichten über ihre Filme und die Themen, die in den Filmen angesprochen werden.

Sara Aduse ist 31 Jahre alt und kommt aus Äthiopien. Sie ist die Protagonistin des Films "Do You Remember Me?", welcher auch der Eröffnungsfilm der Frauenfilmtage Tübingen war. Als Kind wurde bei Sara in Äthiopien eine Genitalbeschneidung durchgeführt, deren Folgen sie noch bis heute begleiten.

In ihrem Film erzählt sie ihre persönliche Geschichte, wie sie wieder zu sich gefunden hat und geht der Frage nach, weshalb die Genitalverstümmelung bei Frauen trotz gesetzlichem Verbot in Äthiopien immer noch praktiziert wird. Dafür reist sie eigens in ihr Heimatdorf in Äthiopien, um ihre Beschneiderin zu finden und sie damit zu konfrontieren.

Das Verbot gilt seit 2007 und habe immerhin die Menschen etwas zum nachdenken angeregt, doch die grausame Tradition wird trotzdem immer noch im Versteckten weitergeführt. Sara meint: "Ich denke, das Verbot war ein wichtiger Schritt, aber im nächsten Schritt sollten die Menschen richtig aufgeklärt werden und Zugang zu Bildung haben, damit sie verstehen, warum die Genitalverstümmelung etwas Schreckliches ist." Denn leider werde in Äthiopien nicht einmal in Schulen über das Thema aufgeklärt. Genitalverstümmelung sei dort noch immer ein Tabuthema, über das nicht gesprochen wird.

Sara lebt seit ihrem zwölften Lebensjahr in der Schweiz. Sie ist ihrer Mutter sehr dankbar, dass sie mit ihr in die Schweiz gezogen ist, denn sonst wäre ihr wohl nie bewusst geworden, wie grausam diese Tradition ist. "Man muss verstehen, dass die Frauen in Äthiopien gefeiert werden wenn sie beschnitten wurden. Erst dann werden sie von der Gesellschaft akzeptiert. Es heißt, sie sind erst dann eine richtige Frau, wenn sie dieses grausame Ritual hinter sich haben.", berichtet Sara. Bis zu ihrem 25. Lebensjahr hat Sara ihre Beschneidung nie wirklich hinterfragt, bis eine Freundin sie auf das Thema aufmerksam machte: "An dem Tag wo ich beschnitten wurde, habe ich für mich entschieden, es für immer zu verdrängen und nie wieder darüber nachzudenken."

2019 unterzog sie sich einer Rekonstruktionsoperation in der Schweiz. In Äthiopien sei das bisher noch nicht möglich, weil dort das benötigte Wissen noch nicht vorhanden sei. Darum gründete sie letzten Dezember ihre eigene Stiftung, die "Sara Aduse Foundation". Damit möchte sie vor allem das Wissen der westlichen Welt nach Äthiopien bringen und das kollektive Bewusstsein der Menschen erweitern. "Ich denke wir dürfen trotzdem die Menschen nicht verurteilen, da sie nicht den Zugang hatten, sich auf einer tiefen Ebene zu hinterfragen.", sagt Sara.

Angélica Cruz Aguilar kommt aus Mexiko, ist Filmemacherin und studierte Medienwissenschaften in Tübingen. Sie hat für ihre Abschlussarbeit den Film "Vivas" gedreht, der von Femiziden (der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts) in Mexiko handelt. "In Mexiko haben wir ein großes Problem mit Gewalt gegenüber Frauen, dort passieren pro Tag im Schnitt elf Femizide, also der brutalen Ermordung von Frauen.", berichtet Angélica. Die zwei Protagonistinnen in ihrem Film "Vivas" sind die Mütter von zwei kleinen Mädchen, die Femiziden zum Opfer gefallen sind.

Ursprünglich wollte Angélica einen Film über die Frauenbewegung in Mexiko machen, doch das Thema ihres Films änderte sich nach beginn der Dreharbeiten. Sie lernte dann nämlich die zwei Protagonistinnen kennen, wodurch ihr erst bewusst geworden sei, was Femizide in Mexiko für eine große Rolle spielen. "Ich habe realisiert, dass man nicht über Feminismus in Mexiko sprechen kann, ohne nicht auch über Femizide zu sprechen.", meint Angélica.

In Mexiko gibt es eine große Frauenbewegung, verbunden mit vielen Protesten und Aktivismus: "So eine starke Bewegung wie in den letzten Jahren in Mexiko habe ich noch nie gesehen!", sagt Angélica. Trotz vieler Versprechungen unternehme die Regierung dennoch bisher nichts gegen Femizide und trotz gesetzlich festgelegten hohen Haftstrafen für Täter, kommen die meisten von ihnen straffrei davon, denn gegen die Täter wird von der Polizei nur in den wenigsten Fällen ermittelt. Es werde zwar versucht, über verschiedene Programme an Schulen Informationen zu verbreiten, doch Angélica findet, dass das nicht richtig gemacht wird, um genügend Leute zu erreichen.

Durch ihren Film ist Angélica aufgefallen: "Viele Leute aus Mexiko und Lateinamerika möchten solche Filme nicht sehen, weil es eben sehr unbequem ist, solche Geschichten zu hören." Doch sie findet, es sei wichtig zu wissen, dass dieses Problem und diese Realität existieren. "Obwohl wir hier Privilegien haben, könnte das genauso uns hier in Europa passieren!", fügt Angélica hinzu.


Audio

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Sara_Aduse_-_Angelica_Cruz_Aguilar_Interview_kurz.mp3


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