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IMI-Kongress 2022 :: Die Auswirkungen des Krieges: Über den Tellerrand

Unter dem Motto „Zeitenwenden: Ukraine-Krieg und Aufrüstung“ fand der 26. Kongress der Informationsstelle Militarisierung in diesem Jahr am 19. und 20. November 2022 in der Tübinger Herrmann-Hepper-Halle statt. Das zweite Panel schaute in zwei Teilen „Über den Tellerrand“.

Das Panel „Über den Tellerrand“ bestand aus zwei Teilen. Zunächst berichtete Ben Müller über die drohenden Konflikte in der Arktis. Durch den Klimawandel würden neue Routen schiffbar. Anrainerstaaten wie Russland und Kanada hätten jedoch entsprechend internationalem Seerecht ihre Basislinien so definiert, dass die Abschnitte dieser Routen durch ihre Inneren Gewässer führen, wo sie einzelnen Staaten oder Schiffen die Durchfahrt untersagen können. Andere Staaten wie die USA oder Großbritannien widersprächen dieser Auffassung und wollten die Ansprüche Russlands in der Arktis herausfordern. Insgesamt sei eine deutliche Remilitarisierung der Region zu beobachten, wobei viele Standorte zugleich militärische wie wissenschaftliche oder zivilen Zwecke (z.B. Seenotrettung) verfolgten.

Daran anschließend beschrieb Merle Weber noch deutlich stärkere Tendenzen der Remilitarisierung der Ostsee. Noch vor wenigen Jahren sei diese in Deutschland v.a. als Tourismusgebiet wahrgenommen worden. Vor dem Hintergrund des ukrainischen Bürgerkriegs sei die Ostsee allerdings in der wieder aufkeimenden Großmachtkonfrontation zu einer militärstrategischen Schlüsselregion geworden. Schon im Jahr 2014 hätten NATO und auch Deutschland damit begonnen, ihre militärische Präsenz in der Region massiv auszubauen. Den Aufmarsch gegen Russland habe der NATO-Block dann 2020 das erste mal mit dem Großmanöver Defender Europe 20 geprobt – mit einem Schwerpunkt auf die Ostseeregion. In den 1990ern noch überwiegend umringt von Staaten des Warschauer Paktes, werde die Ostsee heute als NATO-Binnenmeer wahrgenommen. In Bezug auf die seit 2014 zunehmend militärisch unterfütterte Ostexpansion des Westens kam Weber zu der Einschätzung, dass der Krieg in der Ukraine auch als Defensivkrieg Russlands gegen die NATO verstanden werden müsse – eine Einschätzung, die im Publikum nicht nur auf Zustimmung stieß.

Daraufhin betraten Jacqueline Andres und Pablo Flock die Bühne. Andres beschrieb Wahrnehmungen des Krieges im arabischsprachigen Raum. Hier bestehe viel Unverständnis, warum dieser Krieg in Europa so viel mehr Empörung auslöse, als Kriege in anderen Regionen, die bereits seit vielen Jahren anhalten. Tatsächlich seien teilweise Bilder aus diesen Kriegen zur Illustration von Artikeln über russische Angriffe in der Ukraine verwendet worden. Dass hier zweierlei Maß angelegt werde, zeige auch der Umgang mit Geflüchteten aus dem Ukraine-Krieg. So positiv dieser grundsätzlich zu bewerten sei, offenbare er zugleich die Kälte und Härte, mit der sich Europa gegen Geflüchtete aus anderen Kriegen abschotte. Das werde völlig zu Recht als Rassismus wahrgenommen.

Pablo Flock zeigte die Folgen auf, welche die unterbrochenen und neu geordneten Lieferketten für Energie und Lebensmittel im Globalen Süden auslösen. Während die Konsequenzen für die Masse der Bevölkerung negativ und teilweise dramatisch ausfielen, gebe es durchaus auch Profiteure, betonte Flock. So suche u.a. Deutschland nun Energiepartnerschaften mit anderen Autokratien, wie den ebenso undemokratischen und Krieg füherenden Golfstaaten, und passe seine Haltung z.B. auch in der Frage der völkerrechtswidrigen Besetzung der Westsahara durch Marokko entsprechend an. Schwieriger ist es die Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu ersetzen. Die Großproduzenten Indien und Indonesien hätten bereits ihre Ausfuhren an Weizen bzw. Palmöl einschränken müssen, weil durch die international massiv gestiegene Nachfrage auch die Preise auf den heimischen Märkten explodiert seien. Die Idee einer Neuordnung der Wirtschaft wegen dem Angriffskrieg stößt deshalb auf wenig Gegenliebe in den ärmeren Ländern der Welt. Die Verweise auf doppelte Standards beziehen sich dabei nicht nur auf die Kriege des Westens, sondern auch auf die Unsummen, die für Waffen ausgegeben werden, während versprochene Milliarden für Klimaanpassung nie ankamen.


Audio

Vortrag Ben Müller

Download (43,55 MB)
Konflikte_um_die_Arktis_Ben_Mueller.mp3


Vortrag Merle Weber

Download (30,59 MB)
Die_Ostsee_als_NATO-Binnenmeer_Merle_Weber.mp3


Fragen und Diskussionsrunde zu Über den Tellerrand 1

Download (38,01 MB)
Fragen_und_Diskussionsrunde_Tellerrand_1.mp3


Vortrag Jacqueline Andres

Download (37,72 MB)
Der_Krieg_und_die_Arabische_Welt_Jacqueline_Andres.mp3


Vortrag Pablo Flock

Download (60,9 MB)
Der_Ukrainekrieg_und_der_Globale_Sueden_Pablo_Flock.mp3


Fragen und Diskussionsrunde zu Über den Tellerrand 2

Download (31,56 MB)
Fragen_und_Diskussion_zu_Tellerrand_2.mp3





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