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Michael Butter über Verschwörungstheorien

Michael Butter, Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Uni-Tübingen sprach mit uns über seinen Forschungsschwerpunkt "Verschwörungstheorien".

In seinem Buch "Nichts ist, wie es scheint" analysiert und klassifiziert Michael Butter die verschiedenen Formen von Verschwörungstheorien. Diese können "von oben", also von Regierungen verbreitet werden, um unliebsame Strömungen oder Gruppen zu diffamieren. So geschehen während der Nazi-Zeit, als die Erzähung einer jüdischen Weltverschwörung dazu genutzt wurde, um eine jüdische Minderheit zu entmenschlichen.

In jüngerer Zeit treten sie aber vermehrt "von unten" auf, mit der Zielsetzung "die da oben", also meist, die Regierungen zu diffamieren. Oft, indem diese direkt angegriffen werden, aber auch mit der Zielsetzung, sie als gelenkte Marionetten einer geheimnisvollen informellen Elite darzustellen. 

"Von außen" treten Verschwörungstheorien auf, wenn staatliche Akteur*innen in fremden Ländern die Theorienbildung befördern um geostrategische Ziele zu erreichen, zum Beispiel, um Länder zu destabilisieren oder eine Rechtfertigungsgrundlage zu schaffen, um einen Krieg zu beginnen, wie aktuell in der Ukraine.

Die Empfänglichkeit der Menschen für Verschwörungstheorien korreliert laut Butter dabei eng mit dem Bildungsgrad und dem sozialen Status der Menschen. Aufklärung und Sensibilisierung für die Funktionsmechanismen der Einflussnahme sind sehr wichtig, möchte man präventiv vorgehen. Eine sichere Lebenssituation kann auch sehr wichtig sein. Wenn Menschen sich in ihrer Existenz bedroht sehen, werden sie empfänglicher für einfache Antworten auf ihre akuten Probleme. Denn letztendlich sind Verschwörungstheorien genau das: Einfache Antworten auf komplexe Zusammenhänge. Paradoxerweise entwickelt die Aufrechterhaltung dieser einfachen Antworten eine Dynamik die wiederum zu mehr und mehr Komplexität führt, da die Ursprungsthesen der Realität nicht standhalten und erweitert werden müssen.

Butters Forschungsmethode ist eine qualitative. Das heißt: Textarbeit, Medienanalyse und die Beobachtung der verschwörungstheoretischen Szene. Weniger statistisch auswertbare Fragebögen, wie es in der quantitativen Forschung der Fall wäre, stattdessen mehr persönliche Gespräche mit Individuen. Diese zu führen ist nicht immer leicht. Zwar ist das Sendungsbewusstsein oft sehr hoch, das Misstrauen gegenüber Forschenden jedoch auch. Forscherinnen hingegen haben es leichter, sie werden wohl nicht so sehr als Gefahr wahrgenommen. Kritik übt Butter an Teilen der Medien in ihrer Berichterstattung. Diese sei zum Teil unausgeglichen und suche sich die Interviewpartner*innen, die in das gewollte Narrativ passen. Die wissenschaftliche Community hingegen diskutiert auf einer rationaleren Ebene.

Ab wann sind Verschwörungstheorien aber eine echte Gefahr? Darauf hat Butter eine klare Antwort. Wenn sie radikalisierend wirkt und in Gewalt mündet, wie schon oft genug geschehen. Dann, wenn sie Menschen eine Gefahr für sich und andere werden lässt indem sie beispielsweise lebensrettende Impfungen verweigern. Und schlussendlich dann, wenn die Hetze gegen "die da oben" klar demokratiegefährdende Tendenzen annimmt, die wiederum in Radikalisierung und direkte Aktion mündet, wie beispielsweise beim Kapitolsturm im Frühjahr 2021 in den USA.


Audio

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Interview_Butter_lang.mp3


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Interview_Butter_kurz.mp3





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