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Tübingen bummelt & liest: Das Buchkaffee Vividus

Das Buchkaffee Vividus liegt mitten in der Altstadt und doch leicht versteckt. Seit 2006 verkauft der Buchhändler Benjamin Wagner Bücher, Capuccinos, Kunstpostkarten, Espressi und DVDs in dem denkmalgeschützten Fachwerkhaus gegenüber vom Nonnenhaus. Empfehlungen und Einordnung der Werke in kulturelle Debatten gibt es gratis dazu.

Das Besondere am „Vividus“ ist die Kombination von Buchhandlung und Gastronomiebetrieb. In schönen rot-orangenen Tassen gibt es einen Kaffee oder Kakao zum Schmökern dazu. Auf der einen Seite stehen dahinter wirtschaftliche Gründe: Wie kann man bei der hohen Dichte von Buchläden in Tübingen noch ein eigenes Profil kreieren und sich eine eigene Stammkundschaft aufbauen? Auf der anderen Seite war das Ziel bei der Gründung, einen Ort für Lebensqualität zu schaffen. Alles drei ist gelungen, der Erfolg gebe dem Konzept nach Herrn Wagner recht. Auch Kund*innen bestätigen dies: Das Buchcafé ist auch einfach ein Ort zum Sein. Das liegt unter anderem an dem kleinen Garten, den der Vermieter vor dem Einzug der Buchhandlung angelegt hatte. Im eben diesem Haus hatte schon vor einigen Jahrhunderten ein Botaniker gelebt. Heute stehen in dem kleinen begrünten Bereich vor dem Eingang Tische und Stühle, ein paar Menschen sind am Plaudern und Lesen.

 

Durch die Corona-Pandemie sei die Buchhandlung gut durchgekommen. Auch sie haben die Verluste gemerkt, schließlich sind alle Besucher*innen weggefallen, nur Pick and Collect war möglich. Die Bestellungen haben sich dafür gehäuft – die Tendenz ging sogar dahin, dass viele Menschen explizit ein paar Bücher mehr bestellt haben, um die kleinen Läden zu unterstützen. Große Ketten, die in erster Linie von ihrer großen Auswahl und guten Lagen leben, hätten dagegen größere Verluste gemacht. Auch der Trend hin zum Internetkauf von Büchern bereitet Herrn Wagner nicht allzu große Sorgen, ebenso wenig der Aufstieg des E-Books. Die Stammkundschaft werde bleiben, das Lesen werde bleiben und vor allem das Buch als Medium selbst. Gerade in immer schneller werdenden Zeiten, strahle das Buch eine gewisse Ruhe aus. Der gut lektorierte und recherchierte Text sei ein Gegenpol zu den kurzlebigen Beiträgen auf Facebook oder Twitter.

 

Was während der Lockdowns natürlich gefehlt hat, war der persönliche Kontakt mit den Kund*innen. Herr Wagner liest selvst viel – für sich selbst und beruflich. Schließlich möchte er beraten und auch gerne im Feuilleton diskutierte Bücher besprechen. Den Buchhandel versteht er unter anderem als die literarische Begleitung kultureller und politischer Debatten. Ein Beispiel dafür sei die Identitätspolitik, die sich sowohl im Buch „Die Selbstgerechten“ von Sarah Wagenknecht, als auch in Amanda Gormans Gedichtband „The Hill We Climb“, beziehungsweise der Übersetzung des Bandes wiederspiegelt. Hier wurde die erste Übersetzung ins Deutsche vom Verlag zurückgezogen, da der Übersetzer als weißer Mann in Deutschland nicht die selbe Perspektive habe wie die Autorin und man einen darauf basierenden Shitstorm vermeiden wollte. Aber auch ältere Werke wie die von Hannah Arendt seien immer wieder gefragt. Viele Probleme der Menschheit seien eben doch nicht so neu und Bücher eine gute Möglichkeit sich darauf zu besinnen, was im kulturellen Gedächtnis schon vorliege.

 

So könne Literatur Orientierung geben, sowie das Vividus Orientierung auf dem Buchmarkt geben kann. Die Auswahl zwischen Belletristik, Politik, Kinderbüchern und Anthroposophie ist klein, aber einladend und präzise. Herr Wagner selbst kommt ursprünglich nicht aus dem Buchhandel, sondern hat Allgemeine Rhetorik und Philosophie studiert. Die Buchhandlung wurde noch während dem Studium mit einem Freund zusammen gegründet. Seit dem ist das Vividus ein fester Bestandteil der lokalen Buchkultur geworden und damit eins der Herzstücke der Tübinger Bummler*innen und Leser*innen.  


Audio

Download (16,69 MB)
Buchkultur_Folge_1_Vividus.mp3



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