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Miriam Nast und Rudolf Bühler :: Dialektgrenzen sind auch Identitätsgrenzen

Jetz isch halt alles anderscht, net? heißt das Hörbuch von Miriam Nast und Hubert Klausmann. Im Interview erzählen die Kulturwissenschaftlerin Miriam Nast und der Germanist Rudolf Bühler vom Arno-Ruoff-Archiv, was Dialekte mit gesellschaftlichen Grenzen zu tun haben und warum der Dialekt nicht aussterben wird.

 „Debbich“ statt „Decke“, „Gugg“ statt Tasche oder auch die Redewendung „Es denkt mir“. Alle diese Beispiele stammen aus dem Schwäbischen Dialekt. Miriam Nast und Rudolf Bühler von der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland erforschen die kulturelle und sprachliche Dimension von dem, was wir Dialekt nennen. Nast hat nun ein Hörbuch "Jetz isch halt alles anderscht, net?" herausgebracht. Anhand von verschiedenen Lebensbereichen wird erzählt, wie sich die Kultur im ländlichen Raum verändert hat.

Germanist Bühler interessiert das auch sprachlich: Er vergleicht alte Aufnahmen mit neueren und erforscht, wie sich die Dialekte verändert haben. Heute sei Dialekt sehr mit Klischees verknüpft, bedauert Bühler. Wer Dialekt spreche, werde oft als „rückständig“ angesehen. Aber: „Es gibt nicht mehr den Dialekt oder die Hochsprache“, erklärt er. Es gäbe viele Abstufungen dazwischen.

Nast und Bühler forschen mit Aufnahmen von Sprache. Kulturwissenschaftlerin Nast bearbeitet dabei Archivaufnahmen, die bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Dabei taucht sie auch in die Alltagswelt der damaligen Menschen ein – und in die Methodik der Forschung. Damals mussten „mit riesigen, schweren Tonbandgeräten“ Aufnahmen gemacht werden, erzählt sie. Die Interviews wurden strikt nach zehn Minuten abgebrochen – egal ob der Satz zu Ende gesprochen war oder nicht.

Bühler hingegen vergleicht diese alten Aufnahmen mit neueren. Trotz aller Klischees über Dialekte, es gibt auch die Befürchtung, dass Dialekte aussterben, wenn Menschen und vor allem Kinder nur noch Hochdeutsch lernen. „Der Dialekt verändert sich, aber er stirbt nicht“, beruhigt Bühler. Immer habe es Einflüsse von außen gegeben. So hat heute das Englische einen großen Einfluss auf die Sprache. Früher war es Französisch. Doch die neuen Wörter verdrängen den Dialekt nicht, sie werden vielmehr eingenommen.

So ist beispielsweise die „Waschmaschine“ im Schwäbischen die „Weschmaschin“ - das Wort wurde quasi „eingeschwäbischt“. Doch nicht nur Schwäbisch interessiert die beiden. In Baden-Württemberg werden weitaus mehr Dialekte gesprochen als Schwäbisch. Badisch, Hohenlohisch und Kurpfälzisch sind nur drei Beispiele. Dialekte bestimmen auch soziale Grenzen. „Wer gleich spricht, der gehört dazu“, erklärt Bühler. Die Dialektgrenze ist auch die Identitätsgrenze. Bis heute wüssten die Menschen teilweise ganz genau, wo die Grenze zwischen Baden und Württemberg einst verlief – obwohl es heute immer noch getrennte Verwaltungseinheiten gibt – für die Bevölkerung zählt die alte, historische Grenze. Die Verbreitungsgebiete und sprachlichen Abstufungen lassen sich im Sprachatlas BW nachhören.

Für die Zukunft würde sich Bühler wünschen, dass Menschen weniger Angst haben, mit ihrem Dialekt nicht verstanden zu werden. „Wenn man seinen eigenen Dialekt spricht, dann ist das für das Gegenüber auch die angenehmste Sprachstufe“. Inzwischen gäbe es außerdem eine gewisse Rückkehr zum Dialekt. So wie manches alte Rezept mit hausgemachter Kost nostalgisch verklärt wird, klingt auch beispielsweise „Gsälz“ nach ehrlicher Handarbeit und guter, hausgemachter Marmelade. Fest steht für ihn: Dialekte sind Teil unseres Sprachalltags.

Nast hat schon das nächste Hörbuchprojekt angefangen. Darin soll es dann um die Entwicklung des Gewerbes in Baden-Württemberg gehen.


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Interview_Dialektologie_und_Kulturwissenschaft_lang.mp3


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