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FCK Eigenheim :: "Von Anfang an in die Öffentlichkeit gegangen"

Im Mai 2019 gab es eine Hausbesetzung in der Kaiserstraße 39 in Reutlingen - mittlerweile steht nur noch das Sammeln von Direktkrediten innerhalb eines Jahres aus, um ein Wohnprojektes mit Mehrgenerationen-Haus und Stadtteil-Zentrum in der Kaiserstraße zu verwirklichen. Außerdem geht es nun auch um die Kaiserstraße 41. Lena, Paul und Timo vom 'Fanclub Kollektives Eigenheim' berichten.

 Der „Fanclub Kollektives Eigenheim Reutlingen“ (FCK Eigenheim) hat vor zwei Jahren im Mai 2019 das Gebäude der Kaiserstraße 39 besetzt. Die vier Wochen Besetzung bedeuteten Paul vom 'Fanclub' nach vor allem „wenig Schlaf, viel Arbeit und jeden Tag was Neues.“ Nun ist ein Wohnprojekt mit Mehrgenerationen-Haus und Stadtteil-Zentrum darin und im Nebenhaus der Kaiserstraße 41 geplant. Bis dahin war es schon ein langer Weg und „jetzt geht die Arbeit erst richtig los“ betonen Lena, Paul und Timo vom 'FCK Eigenheim'. Der spätere 'Fanclub' habe sich bereits länger bei politischer Arbeit in Reutlingen kennengelernt, wo Wohnpolitik ein großes Thema ist.

Die Besetzer*innen sind „von Anfang an in die Öffentlichkeit gegangen“ - beispielsweise in Form vom gemeinsamen Nachbarschafts-Grillen. So folgte auch ein großer Zuspruch von den Leuten aus dem Stadtteil, jeden Tag seien 20 bis 30 Nachbar*innen da gewesen und hätten auch Getränke und Essen mitgebracht. „Viele Nachbar*innen kamen auch zu uns und sagten: Endlich sieht's hier mal wieder ein bisschen ordentlicher aus.“, erinnert sich Lena. Schließlich hat die Gruppe das verfallende Gebäude wieder in Stand gesetzt. Die Gruppe berichtet, sie „haben mit Kehrwochen begonnen, also haben es komplett sauber gemacht, haben den Außenbereich wieder zurückgestutzt, sodass man sich da aufhalten kann.“ Hausbesetzer*innen, die Kehrwochen kultivieren – dies kam in der Ost-Stadt Reutlingens, die den drei Aktivist*innen nach eher gut situiert und bürgerlich, aber auch vielfältig sei, gut an. Die Ost-Stadt sei ein Viertel zum „Leben und Arbeiten“ und dabei nahe an der Innenstadt sowie dem Park und der Achalm. „Umso unverständlicher, dass da diese beiden Gebäude so ganz zentral auch, wunderbar angebunden, so lange leer gestanden sind – und das hat man den Gebäuden natürlich auch angemerkt.“

Die Kaiserstraße 39 stand zu dem Zeitpunkt bereits mindestens fünf Jahre leer, Gespräche mit Mieter*innen ergaben, dass das Haus „nach und nach immer leerer“ wurde. Die Kaiserstraße 41 war nicht Teil der Besetzung und wurde später eher als Vorgabe von der Stadt dem Projekt hinzugefügt. Das Haus steht bereits zehn Jahre leer, muss abgerissen werden und wird danach neu gebaut.

Auch unabhängig von den Häusern hat die Besetzung in Reutlingen Spuren hinterlassen. So wurde in Kooperation mit dem DGB im Nachhinein ein 'Leerstandsmelder' konzipiert. Außerdem war die Aktion ein Anstoß für den Oberbürgermeister Reutlingens Thomas Keck, die GWG zu reformieren, sich wieder auf ihr ursprüngliches Ziel rückzubesinnen: sozialen Wohnraum zu schaffen. Das Gebäude der Kaiserstraße 39 gehörte nämlich der GWG und war zuvor Stadteigentum. Beim ersten Treffen der Besetzenden mit der GWG seien erstere besser vorbereitet gewesen und haben gut reagieren können. Seitdem haben sie sich immer wieder an einen Tisch mit der GWG gesetzt, die mit ihrer eher gewinnorientierten Linie „falsche Prioritäten gesetzt“ hätte. Durch die Reform sollen nun Projekte, die die GWG nicht sinnvoll bewirtschaften kann, im Konzeptverfahren ausgeschrieben werden. In einem Konzeptverfahren wird ein Objekt nicht an den Höchstbietenden, sondern an das beste Konzept vergeben. Da das Konzept in Reutlingen noch eher neu ist und der Forderungskatalog des FCK gut durchgearbeitet, hat sich die Stadt Reutlingen dabei stark an diesem orientiert – ein weiterer Erfolg. Im Katalog sind bezahlbarer Wohnraum, ein Stadtteil-Zentrum und das Schaffen von kulturellem Angebot zentrale Punkte. Auch sonst gab es auch politisch keine großen Widerstände, da es dort auch mehr oder weniger einen Konsens gäbe, „dass man die Stadt nicht runterkommen lassen will“.

Die Argumentation des 'Fanclubs' war, dass Eigentum auch verpflichtet und zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt werden muss: „Man kann nicht seinen Pflichten nicht nachkommen und sich dann auf seine Rechte berufen.“ Mit dem Mietshäusersyndikat, das schon über 160 Projekte umfasst, will der FCK Eigenheim, nun ein Verein, die Häuser dem Wohnungsmarkt entziehen und selbstverwalteten Wohnraum schaffen. Im Stadtteilzentrum sollen sich darüber hinaus Mieter*innen in der Nachbarschaft vernetzen. Gemeinsam sei man stärker, auch gegen die Vormachtstellung von Eigentümer*innen. So wollen die Aktivist*innen auch übers Wohnen hinaus im Stadtteil wirken.

 Am Anfang hieß es bezüglich des Stadtteil-Zentrums noch: „geht gar nicht“. Mittlerweile ist eine 'nachbarschafts-verträgliche Nebennutzung' genehmigt. „Da zeigt sich vielleicht auch für andere Gruppen, dass es sich lohnt am Ball zu bleiben.“ Geplant sind außerdem ein öffentlicher Innenhof, möglichst Barrierefreiheit, und eine Vielfalt gemeinschaftlichen Wohnens – beispielsweise durch Angebot von Ein-Zimmer-Wohnungen im gemeinschaftlichen Projekt, für Menschen, für die das WG-Leben keine Option (mehr) bietet. Engagement ist in selbstverwalteten Projekten selbstverständlich eine Grundbasis – aber auch jede*r nach den eigenen Kapazitäten und Fähigkeiten.

Nun muss der Verein um insgesamt ca. 900 000 Euro Direktkredite werben, wovon schon 130 000 eingeworben oder zugesagt sind. So gibt es jeden Samstag einen Infostand in Reutlingens Innenstadt, wo man ins Gespräch kommen kann auch manchmal Reutlinger Passant*innen Direktkredite zusagen. Außerdem gibt es dienstags und mittwochs eine Telefonberatung. Direktkredite kann man dabei auch online abschließen sowie verzinsen lassen und durch die Größe des Mietshäusersyndikats ist diese Anlage relativ sicher. Außerdem waren über 99 Prozent der Projekte des Syndikats erfolgreich. Innerhalb eines Jahres muss der FCK Eigenheim das Gebäude kaufen, um seinen Anspruch darauf nicht zu verlieren.

Der Name des Vereins wurde durch einen Sticker angeregt, der im Haus hing: „Fanclub Eigenheim“. So musste nur noch das „kollektiv“ zwischengeschoben werden.


Audio

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Kurzfassung_Interview_FCK_Eigenheim.mp3


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Langfassung_Interview.mp3



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