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Jüdische Schicksale zur NS-Zeit: Die erste jüdische Familie Tübingens wird vertrieben
Das Buch „Ausgrenzung – Raub – Vernichtung – NS-Akteure und Volksgemeinschaft gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945" berichtet auch von Einzelschicksalen aus der jüdischen Bevölkerung. Einer von ihnen ist Leopold Hirsch.
Der jüdische Textilhändler konnte sich in der Tübinger Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuen. Bauern und Weingärtner wussten die günstige und praktische Arbeitskleidung zu schätzen, auch ließ der Händler sie hin und wieder anschreiben, wenn es grade finanziell knapp war.
Hirsch war 1976 geboren worden und hatte das Herrenkonfektionsgeschäft seines Vaters in der Kronenstraße 6 übernommen, das sein Großvater begründet hatte. Dieser Großvater, ebenfalls Leopold Hirsch, hatte 1850 auf das Bürgerrecht geklagt – und Erfolg. Damit hatte er nicht nur den Weg für sein Geschäft geebnet, sondern auch für die jüdische Gemeinde in Tübingen. Und das Geschäft verlief erfolgreich: Leopold Hirsch junior verzeichnete Ende der 20’er Jahre den siebthöchsten Gewinn unter den Tübinger Textilhändlern, er war einer der größten Steuerzahler der damals noch 20 000 Einwohner zählenden Stadt. Nach der Weltwirtschaftskrise konnte sich sein Geschäft wieder erholen. Außerdem war er Mitglied in der Stadtgarde zu Pferde und der Museumsgesellschaft, beides Instiutionen, die in der Bevölkerung hohes Ansehen genossen. Auch dem jüdischen Glauben fühlte sich Hirsch verpflichtet – er war Synagogenvorsteher.
Doch 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Am 1. April 1933 rief die SA zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Doch Leopold Hirschs Laden wurde weiter besucht. Seine Stammkundschaft blieb ihm treu. Eine Zeitzeugin erinnerte sich: „Die Wengerter, die haben eben auch ihren Dickkopf gehabt. Da hat man sich eben das nicht sagen lassen. Solange der Hirsch das Geschäft gehabt hat, hat man eben beim Hirsch gekauft.“
1935 emigrierte Hirschs Sohn Walter nach Südafrika. Auch Leopold und seine Frau Johanna wollten ihm dorthin folgen. Trotz der treuen Stammkundschaft spürten auch sie die systematische Ausgrenzung. Doch 1938 wurde Leopold Hirsch Opfer von Behördenschikane. Das Finanzamt Tübingen beschuldigte ihn der Steuerhinterziehung und forderte 18 000 Reichsmark Nachzahlung. Hirsch musste eine Hypothek von 17 000 Reichsmark aufnehmen und sein Geschäft verkaufen. Pikanterweise war der Käufer, Josef Tressel, einer seiner ehemaligen Mitarbeiter. Tressel war NSDAP-Mitglied und SA-Mann. 38 000 Reichsmark Einheitswert wurden festgelegt – Tressel zahlte gerademal 20 000, die vom Deutschen Reich beschlagnahmt wurden. Hirsch sah keinen Pfennig.
Während der Reichsprogromnacht wurde Hirsch zusätzlich nach Dachau gebracht und inhaftiert. Nach der Freilassung ging er mit seiner Frau nach Südafrika, wo diese 1942 verstarb.
Eine Entschädigung für sein Geschäft erhielt Hirsch nie. Tressel stellte sich als Opfer dar, er habe die Steuerschulden beglichen und das erworbene Haus und Lager seien im schlechten Zustand gewesen. Er bot Hirsch an, einen Drittel des Kaufpreises zu erstatten, das lehnte der Händler jedoch ab. 1958 bekam er eine monatliche Rente von 468 DM zugesprochen. Hirsch starb 1966, sein Enkel berichtete später, er habe im Exil nie über Tübingen gesprochen. Seit 2020 erinnern Stolpersteine an die Familie Hirsch.
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Juedische_Schicksale_Leopold_Hirsch.mp3
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