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Filmrezension :: Gegen den Strom: Abgetaucht in Venezuela

Gegen den Strom: Abgetaucht in Venezuela ist ein Dokumentarfilm von Sobo Swobodnik aus dem Jahr 2019. Darin wird Thomas Walter porträtiert, der dort viele Jahre untergetaucht lebte.

Sobo Swobodnik, der Regisseur, sitzt im Flugzeug. Er raschelt mit Zeitungen. In einer Spiegel-Zeitschrift lautet ein Titel: Thomas, der Terrorist. Swobodniks Stimme aus dem Off erklärt: Thomas und zwei weitere Männer hatten in den 90er Jahren den Plan, ein im Umbau befindliches Abschiebegefängis in Berlin zu sprengen. Das Vorhaben wurde vereitelt, die Männer flohen und tauchten jahrelang unter. 2017 traten sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit, als sie Aslyanträge in Venezuela stellten. Swobodnik besucht sie nun. 

Der Film porträtiert einerseits Thomas Walter und sein Leben an einem Ort, an dem er sich versteckt hatte. Man sieht im dabei zu, wie er in seinem Garten arbeitet, mit den Nachbarn spricht, ins Internetcafé geht, um zu skypen. Die andere Hälfte des Films behandelt sein Musikprojekt: Seit seinem Auftauchen arbeiten er und Pablo Charlemoine, auch bekannt als Mal Élevé, an einem Album. Immer wieder werden ganze Songs der beiden, die sich als Duo "Générations sans frontières" (Generationen ohne Grenzen) nennen, im Film gespielt. Dazu Eindrücke vom Straßenalltag in Venezuela, die wie gemacht sind, um die Lieder zu illustrieren. 

Pablo und Thomas haben lange Zeit nur über Skype miteinander an den Liedern gearbeitet, aber als Swobodnik dort ist, kommt auch Pablo nach Venezuela, um das Album aufzunehmen. Sofort werden die Gitarren ausgepackt und das Studio aufgebaut. Ein Problem ist nur, dass der Strom ständig ausfällt. Obwohl ihre Musik bisher unterschiedlch klang, können sie sich leicht auf ihre Gemeinsamkeiten einigen. Die Lieder sind mal auf deutsch, mal auf französisch und drücken Sehnsüchte aus. Auf der Basis einer gemeinsamen Vorstellung, wie die Welt schöner sein könnte, entstehen Lieder über politische und persönliche Träume, über Weltschmerz, Musik und Revolution. 

Die beiden Freunde von Thomas, Peter und Bernd, lernt man auch kennen. Sie wohnen nur wenige Kilometer voneinander weg und treffen sich ab und zu. Keiner der drei bereut es, geflohen zu sein. Die Verjährung für das vereitelte Vorhaben beträgt mittlerweile 40 Jahre, damals ging man noch von 10 bis 20 Jahren aus. Hätten sie gewusst, dass es 40 sind, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Dennoch und auch, obwohl die Flucht von Angst geprägt war, kommt Thomas ins Schwärmen, wenn er von der Hilfsbereitschaft der Leute erzählt. "Ich würde andere Lieder machen, wenn ich nicht geflohen bin", sagt er. 

Über das damalige Vorhaben, den "Abschiebeknast" zu sprengen, erfährt man wenig. Zu wenig, um sich wirklich ein eigenes Urteil darüber bilden zu können. Doch in diesem Film geht es nicht um eine Bewertung der Vergangenheit, sondern um den Umgang mit den Umständen. Man hört von jemandem, der jahrelange Fluchterfahrung hat - aus Deutschland heraus. Es entsteht ein Einblick in ein Leben, das so nicht geplant, aber notwendig war und um Menschen, die trotz allem ihre positive Einstellung bewahren. Und ein Einblick in den Entstehungsprozess von Musik, die von Herzen kommt. 


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