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Theater Die Tonne :: Hierbleiben... Spuren nach Grafeneck

Im Schloss Grafeneck in der Nähe von Reutlingen hat vor 80 Jahren eine industrielle Ermordung von Menschen mit Behinderung stattgefunden, wovon viele Menschen immer noch nichts wissen. Der Regisseur Enrico, der Projektleiter Maxi und der Schauspieler Santiago aus dem Theater Reutlingen Die Tonne erzählten von ihrem Projekt „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“, das darauf zielt, das Geschehene nicht zu vergessen.

Die Tonne hat ein inklusives Theaterensemble mit Menschen mit Behinderung. Sie bereiten seit letztem Winter das Projekt „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“ vor, ein Stück mit Künstler*innen aus ganz verschiedenen Bereichen. Es ist ein Projekt, das auch mit Bundes- und EU-Fördermitteln finanziert wird. Das Projekt ist auch kein normales Theater, sondern wird als Straßentheater auf Marktplätzen in Baden-Württemberg aufgeführt. Aktualität spielt dabei eine große Rolle, da es immer noch Diskriminierung gibt. Die Schauspieler*innen erzählen, wie sie bei der Recherche mit folgenden Fragen beschäftigt haben: „Wär ich auch ins Gas geschickt worden damals? Kann es heute wieder passieren?“

Das Schloss Grafeneck, 40 Kilometer von Reutlingen auf der Schwäbischen Alb, war vor der Nazi-Zeit ein Heim für Menschen mit Behinderung. Innerhalb des Jahres 1940 wurden aber über 10 654 Menschen dorthin gebracht und in dem ersten industrialisierten Massenmord des Nationalsozialismus vergast. Sie dienten als „Versuchskaninchen“ für den nachher folgenden Genozid an Juden. Mit grauen Bussen wurden Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung dorthin gebracht und nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung entschieden, ob sie „lebenswert“ wären. Manchmal wurden sogar Menschen mit weiteren Krankheiten dorthin geschickt, nur um die Zahlen füllen zu können. Begründet wurde der Massenmord mit der Eugenik als eine Euthanasie-Aktion. Die Angehörigen bekamen nur einen Trostbrief, dass ihr Familienmitglied an einer natürlichen Krankheit verstorben sei. Einige Geschichten weisen darauf hin, dass einige Opfer ihr Schicksal geahnt haben. Nach einer Erzählung wurde aus der Tasche eines verstorbenen Jungen ein Keks mit dem eingeritzten Wort „Mörder“ gefunden. In der Theaterproduktion werden auch echte Personennamen und Lebensgeschichten benutzt, um die Geschichte auf eine persönliche Ebene zu bringen.

Einen persönlichen Bezug auf das Geschehene haben auch viele Teilnehmer*innen des Ensembles wegen ihrer Behinderung. Sie fühlen sich deswegen besonders emotional beim Proben und Aufführen. Doch finden sie es wichtig, dass über die Vergangenheit geredet wird und indem Theaterstück ein aktueller Bezug hergestellt wird. Die Zielgruppe der Produktion sind besonders die Jugendliche, die als schon die dritte Generation nach dem Holocaust besonders das Wissen brauchen. Dazu wird mit der Produktion versucht, die Stigmatisierung der Behinderung zu vermindern, da viele Menschen niedrige Erwartungen an eine inklusive Theatergruppe haben.

Noch Ellwangen und das Schloss Grafeneck stehen 2020 auf dem Tourplan, nächstes Jahr geht es aber wieder weiter. Auf den Märkten wird die zweistündige Inszenierung ohne Pause ticketfrei durchgeführt, sodass sich die Fußgänger entweder das ganze Stück oder nur ein Teil anschauen können. Die Schauspieler*innen sind in roten Overalls gekleidet, die Aufmerksamkeit erregen und Interesse wecken. Auch der silberne Bus der Theatergruppe erinnert an die Vergangenheit.


Audio

Das ganze Interview zum Nachhören

Download (77,21 MB)
77130_Spuren_nach_Grafeneck_lang.mp3


Das Interview in der Kurzform

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77130_Spuren_nach_Grafeneck_kurz.mp3



Bilder





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