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Medea (LTT) :: Rezension
Das LTT hat vor kurzem endlich wieder seine Pforten geöffnet. Eines der ersten Stücke nach dem Lockdown ist ein Klassiker: Medea. Das Stück wurde im 5. Jahrhundert vor Christus vom griechischen Dichter Euripides verfasst und fußt auf dem Argonauten-Mythos.
Iason, ein Königssohn aus Iolkos, möchte den tyrannischen König vom Thron bringen, und wird losgeschickt, das goldene Vlies aus dem fernen Kolchis zu holen. Auf der Argo begibt er sich mit einer Heldenschar auf die Reise, und so beginnt der Mythos der Argonauten. Auf dem Weg begegnet er Medea, der Königstochter von Kolchis, und die beiden verlieben sich ineinander. Sie zeugen zwei Söhne und Medea hilft Iason auf der Reise. Mit magischen Kenntnissen hilft sie im Kampf gegen den Drachen, welcher das Vlies bewacht, bestiehlt ihren Vater und hilft, ihren eigenen Bruder zu töten, damit die Argonauten flüchten können. Den König von Iolkos endlich vom Thron gestoßen, lassen sich Iason und Medea in Korinth nieder. Dort möchte Iason die örtliche Königstochter heiraten, worüber Medea eher weniger erfreut ist. Hier ist es, dass unser Stück beginnt.
Der König von Korinth möchte Medea und ihre Söhne aus der Stadt verbannen. Medea fühlt sich hinte rgangen von Iason und möchte seine neue Frau und ihren Vater, den König, bei der Hochzeit vergiften. Aigeus, der König von Athen und Bekannter von Medea, ist gerade auf der Durchreise durch Korinth und die beiden begegnen sich. Sie erzählt ihm die Situation und er schwört, sie in seiner Stadt aufzunehmen. Um Iason alles zu nehmen, was er liebt, entscheidet sie, auch ihre Söhne zu töten. Im nächsten unterhalten sich Iason und Medea und sie fleht ihn an, den König zu beschwichtigen, um wenigstens die gemeinsamen Söhne in der Stadt zu gestatten. Iason willigt ein und Medea gibt den Kindern ein vergiftetes Vlies, welches sie ihrer neuen Stiefmutter geben sollen. Der Plan geht auf, die Königstochter und ihr Vater sterben, und Medea tötet ihre Söhne. Sie flüchtet nach Athen, und Iason wird mit seinem Leid zurückgelassen.
Im Theater darf natürlich die Theatralik nicht fehlen, und davon zeigen die Schauspieler eindeutig genug. Es wird geschrien, geweint, gelacht und gestritten, wie man es bei einem Drama mit solchen Maßstäben erwartet. Das Originalstück wurde an den genau richtigen Stellen modernisiert, ohne von der Geschichte abzuweichen. So hat man als Kostüme Jeans und Trenchcoat anstatt Kutten und Togas. Alles komplett in Weiß, damit es sich trotzdem nicht mit dem Setting im alten Griechenland beißt. Die Musikuntermalung wäre in der Antike auch nicht zu finden gewesen, diese beißt sich aber an keiner Stelle mit den Themen des Stücks. Diese vereinzelnten Updates beleuchten das Stück in einem ganz neuen Winkel, welchen Euripides wohl kaum vorgesehen hatte. Dafür muss man aber zuerst verstehen, in was für einer Welt der Dichter gelebt hat.
Die Rolle der Frau war im alten Griechenland eine deutlich andere als heute. Frauen hatten wenig Rechte, waren für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig, und wurden als grundsätzlich weniger wert angesehen als Männer. Eine Frau wie Medea, welche clever, begabt und souverän war, wurde also nicht gern gesehen. Auch der Mord am eigenen Bruder und den Söhnen porträtiert sie negativ. Familie war im alten Griechenland heilig, noch deutlich heiliger als heute. Die Morde waren also Taten, welche damals in kaum einem Kontext zu entschuldigen waren. Medea fällt also aus dem typischen Heldenmuster. Zwar begangen die meisten Helden der Antike Gräueltaten, es wird aber immer klar unterschieden, ob diese wegen einer von den Göttern vorgesehenen Mission oder einem größteren Ziel, oder nur wegen der eigenen Genugtuung begangen werden. Medea fällt nach dem Argonautenmythos eindeutig in die Riege der Genugtuung, und man kann davon ausgehen, dass Medea als ein bösartiger Charakter konzipiert wurde.
Über die letzten zweieinhalb tausend Jahre hat sich in der Geschichtenerzählung, und natürlich auch in der Gesellschaft als ganzes, einiges getan. Es ist auch heute schwer zu argumentieren, dass Medea ein guter Mensch sei. Wenn man sich aber anguckt, was ihr angetan wurde, kann man die Geschichte ein wenig anders interpretieren. Den Mord am eigenen Bruder beging sie im Argonautenmythos aus Liebe zu Iason. Sie warf ihr Leben weg, um es mit ihrem Geliebten verbringen zu können. In Korinth angekommen wurde sie dann selbst weggeworfen wie ein Stück Müll. Die Geschichte ist immer noch eine von Rache, aber weniger getrieben von geblendeter Wut. Sie nimmt Aspekte auf, welche man im Film im Genre "rape and revenge" wiederfinden würde. Bei diesem wird eine Frau zuerst zu Boden gebracht, um sich dann auf einen Rachefeldzug gegen ihre Übeltäter zu begeben. Dabei wird auch oft keine Rüksicht auf Verluste genommen. Dieses Genre steht zwar heute auch oft in der Kritik und gilt als sexistisch, weil die Protagonistin immer erst alles verlieren muss, bevor sie sich wieder hochkämpfen darf, der Hintergrundgedanke ist aber da: Die Emanzipation der Frau. Medea richtet sich gegen Konventionen, gegen das, was Iason und der König Korinths von ihr erwarten, und entscheidet ihr eigenes Schicksal. Dabei ist es ihr gleich, welche Opfer sie bringen muss. Sie geht buchstäblich über Leichen. Ihre Taten sind bei weitem noch nicht gerechtvertigt, man kann aber besser nachvollziehen, wieso sie so handelt, wie sie es eben tut.
Das Stück Medea war unbeliebt, als es 431 vor Christus das erste mal aufgeführt wurde. In unserer modernen Welt, mit einem anderen Frauenbild, anderen Erzählstrukturen und einer anderen Erwartungshaltung an den Protagonisten eines Stückes, kann die Tragödie heute vielleicht besser wertgeschätzt werden, als das vor 2500 Jahren der Fall war. Es ist tolle Unterhaltung, grandios auf die Bühne gebracht von den Schauspielern im LTT, und auf jeden Fall einen Besuch wert.
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