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Rezension :: Wir gehen jetzt weiter zum brennenden Hasen

Rezension zu Peter Ertles Kurzgeschichtensammlung, basierend auf Gemälden von Armin Bremicker.

"Wir gehen jetzt weiter zum brennenden Hasen" heißt das neueste Buch von Peter Ertle. Es ist eine Kurzgeschichtensammlung in Kooperation mit dem Künstler Armin Bremicker. Dieser war vor einiger Zeit auf Ertle zugekommen, und hatte ihm die Idee vorgeschlagen, basierend auf der Gemäldereihe Only Peaks, an welcher Bremicker seit rund 10 Jahren arbeitet, einige Kurzgeschichten zu schreiben. Zuerst konnte sich Ertle wenig unter der Idee vorstellen, war nach ein wenig experimentieren aber doch gepackt und berichtet, dass es für ihn fast schon zu einer Sucht geworden ist, sich neue Kurzgeschichten auszudenken.

Zu den Gemälden: Die Reihe ist untereinander nur sehr lose verbunden; die Motive variieren von Nahaufnahmen von Menschen, urbane Landschaften bis zu vollkommen abstrakten Formen und Figuren. Das Bild mit der Kurzgeschichte „General“ dahinter zeigt, als Beispiel, einen Mann im Profil, eine Nahaufnahme, im Alter von 40 bis 50. Sein Gesicht wirkt gemeißelt, der Blick ist ernst, man würde aber fast meinen, dass er eigentlich lachen will. Auf seinem Kopf sitzt eine Generalsmütze in Tarnfarben, und er blickt einem Schatten seines Spiegelbilds in die Augen. Am anderen Ende des Spektrums sind Bilder wie das, wozu Ertle sich die Geschichte „Bettkante“ ausgedacht hat. Man sieht zentral ein schwarzes Rechteck, welches einen Schatten zu werfen scheint. Am linken Bildrand sieht man einen Lichtschimmer mit den Silhouetten zweier Menschen darin. Es sieht aus wie der Schatten eines Elternpaars, welches ins Zimmer des Kindes schaut, um nachzusehen, ob es auch schläft. Genauso könnte es aber der Blick von außen auf ein Haus sein, durch dessen Fenster man nachts die Bewohner sehen kann. Die Deutung liegt im Auge des Betrachters.

Zu den Geschichten: Sie sind nur wenige Seiten lang, und begleiten immer einen Protagonisten, manchmal auch mehreren, meistens ohne Namen, auf einem kleinen Gedankenspaziergang. Es wird die Psyche dieser fiktiven Personen auf erschreckend ehrliche Weise analysiert. Man bekommt einen tiefen Einblick in die „human experience“, also all das Schöne, das Grausame, dasSspaßige, das Erschreckende, das Absurde, womit uns die Welt konfrontiert.

Gehen wir noch einmal zum Beispiel „Bettkante“ zurück. Das schwarze Rechteck und die beiden Silhouetten hat Ertle zu folgender Geschichte gemacht: Tom, unser Protagonist, möchte ein paar Sachen aus dem Haus seiner Geliebten Hannah holen. Plötzlich kommt sie nach Hause, zusammen mit ihrem Partner. Tom gerät in Panik, möchte die Affäre nicht auffliegen lassen, und versteckt sich. Seine Gedanken rasen, er denkt an die letzten zehn Jahre mit Hannah, dem Hin und Her zwischen ihm und ihrem eigentlichen Partner. Dem Sex. Was das alles für ihn bedeutete. Für Sie. Und wie soll er sich jetzt aus dieser Situation befreien? Da gehen die beiden wieder, und Tom kann sich beruhigen, seine Sachen schnappen und sich aus dem Haus schleichen.

 Die Gedankenspaziergänge, die Peter Ertle aufs Papier bannt, sind selten klar. Meistens wandern sie von Thema zu Thema, schweifen kurz ab, finden sich wieder, und kommen teils nicht einmal zu einem richtigen Schluss. Dieser abstrakte, surreale Schreibstil passt ausgezeichnet zu den komplexen Bildern, die Armin Bremicker auf die Leinwand gezaubert hat. Die zweihundert Seiten lesen sich geschmeidig wie Butter, auch wenn sie von keinem übergreifenden Thema zusammengehalten werden. Und wenn man genau aufpasst, kann man bei der ein oder anderen Geschichte sogar etwas über sich selbst lernen.


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