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Jürgen Wertheimer :: Europa - eine Geschichte seiner Kulturen

Ein Blick in Europas kulturelle Geschichte: Autor und Hochschullehrer Jürgen Wertheimer im Interview mit der Wüste Welle über sein aktuelles Werk „Europa – Eine Geschichte seiner Kulturen“.

Jürgen Wertheimer ist nicht nur Hochschullehrer für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Tübingen, sondern vor allem auch Autor. Vom Penguin Verlag erhielt er den Auftrag, Europas kulturelle Geschichte zusammenzufassen und kritisch zu hinterfragen. Im Interview erklärt uns Wertheimer, wie er dabei vorgegangen ist, was ihn besonders fasziniert hat und welches Bild sich für ihn persönlich durch seine Forschungsarbeit über Europas Geschichte abzeichnet.

Wertheimers Buch „Europa – eine Geschichte seiner Kulturen“ ist ein 500-seitiger Schnelldurchlauf durch die Geschichte Europas: vom „Baby Kreta“ über seine Jugendjahre bis hin zum heutigen „gefährdeten Mensch“, wie Wertheimer gern formuliert. Eckpunkte für den Autor waren vor allem die Aufklärung, welche Europa als festen Strom bis in die Gegenwart durchzieht, sowie sein geografisches Bild. Denn laut Wertheimer gibt es kaum ein Territorium auf der Welt, welches so wandelbar ist.

In seiner Erzählung ist Wertheimer chronologisch vorgegangen. Er selbst bezeichnet sein Vorhaben, die Geschichte Europas einzufangen als vermessen und größenwahnsinnig – aber so lautete nun einmal der Auftrag. Zum leichteren Verständnis und auch aus eigenem Interesse heraus konzentrierte sich Wertheimer vor allem auf den inneren Entwicklungsprozess Europas und versucht im Buch zu erklären, wie hier Erinnerungen und Erfahrungen gespeichert wurden.

Direkt im ersten Kapitel beschäftigt sich Wertheimer deshalb mit Gründungsmythen. Dabei sind Mythen und Geschichten für ihn Hebel, um unser Verhalten zu erklären und ihm Sinn zu geben – also genau das Material, aus dem unser kollektives Selbstverständnis besteht. Für Wertheimer ist klar, dass es für Europa eben nicht nur diesen einen Gründungsmythos oder diese eine Leitkultur geben kann, sondern dass es vielmehr ein Gemisch aus divergenten Möglichkeiten darstellt.

Im Interview stellt Wertheimer außerdem fest, dass Europa ganz und gar kein Kontinent des Friedens ist. Zwar versucht sich dieser seit gut 60 Jahren stetig zu halten, doch zuvor war gerade Europa mit seinen griechischen Kriegen, den Kreuzzügen des Mittelalters und dem Austragungsort von gleich zwei Weltkriegen nahezu der Erfinder von Krieg und Vernichtung. Heute sei man auf Basis dieser Erfahrungen klüger geworden – aber auch ängstlicher und gebrechlicher, so Wertheimer im Interview.

Dabei geht es im Buch weniger um realgeschichtliche Personen, sondern viel mehr um die Kultur Europas, zu welcher vor allem auch Mythen gehören. So wurde die Existenz der berühmten antiken Stadt Troja beispielsweise nie tatsächlich bewiesen, dennoch ist gerade aus diesem Mythos ein beträchtliches Narrativ und damit, laut Wertheimer, auch ganz gewaltige Realität entstanden.

In „Europa – eine Geschichte seiner Kulturen“ geht es also vor allem um das Auseinandernehmen von Systemen. Diese Betrachtungsweise lässt Wertheimer erkennen, dass vieles, was sich über Jahrhunderte hinweg etabliert hat, nichts weiter als Konstrukte waren. Diese Gedankengänge spiegelten sich innerhalb Europas auch bereits im Zeitalter der Aufklärung wider, in welchem Autonomie und Selbstverantwortung gegenüber bestehende Konstrukte wie religiöse Mächte gestellt wurden. Und dieser Prozess zieht sich, so Wertheimer im Interview, bis in die heutige Zeit, in der die Kirche während der Corona-Pandemie ganz bewusst und ganz anders als zur Zeit der Pest, eine zurückhaltende Rolle einnimmt.

Für Wertheimer ist Europa ein Flickenteppich aus vollkommen verschiedenen Kulturen und er wünscht sich, dass dieser Begriff nicht – wie so oft – in einem negativen Sinne genutzt wird. Für ihn ist klar, dass sich Europa neu und mit kritischem Bewusstsein in den Blick nehmen muss und dazu gehört auch, dass es seinen im 19. Jahrhundert eroberten Platz als Zentrum von Ideologien abgeben muss. Jürgen Wertheimer sieht unseren Kontinent als würdevolle Ruine, bei der unter jedem Stein tausende Jahre von Erinnerungen an Helden, Anti-Helden, Feindbilder und auch Kriege kleben. Dazu mehr gibt es hier im Interview und auch in seinem aktuellsten Buch „Europa- eine Geschichte seiner Kulturen“.


Audio

Kurzversion des Interviews mit Jürgen Wertheimer

Download (22,07 MB)
Juergen_Wertheimer_-_Kurzversion.mp3


Langversion des Interviews mit Jürgen Wertheimer

Download (78,36 MB)
Juergen_Wertheimer_-_Langversion.mp3



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