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Michael Kuckenburg :: Tübinger Studenten vor 100 Jahren gegen Demokratie und Fortschritt
Das Schwäbische Tagblatt veröffentlichte am 14.03. einen detaiilierten Rückblick in die Geschichte der Tübinger Studentenverbindungen zur Zeit der Weimarer Republik und des Nazi-Regimes - verfasst vom pensionierten Lehrer Michael Kuckenburg. Wir konnten uns mit ihm im Telefoninterview noch einmal intensiver mit dem Thema auseinander setzen.
Vor 100 Jahren haben sich die Tübinger Studenten aktiv gegen Demokratie und Fortschritt eingesetzt, so Kuckenburg. 89% von ihnen haben im 1. Weltkrieg gedient und kehrten nach seinem Ende verbittert in ihre Heimat zurück. Von Johannes Haller, dem damaligen Direktor der Tübinger Universität, wurden sie mit den Worten „Der Krieg ist ja noch gar nicht zu Ende“ begrüßt. Angespielt wurde damit auf die sich nun etablierte Weimarer Republik – denn die Studenten und Akademiker wollten damals keine Sozialdemokraten an der Macht sehen. In Tübingen wurden daraufhin die Bataillone „Schlossberg“ und „Österberg“ gegründet und die Studierenden warteten auf ihren erneuten Einsatz zu Kampfhandlungen.
1919 beteiligten sie sich nach einem Aufruf der sozialdemokratisch geführten bayerischen Landesregierung an der Niederschlagung der linksradikalen Münchner Räterepublik. Die Motivation der meisten Tübinger Studenten war jedoch eindeutig: „Wir kämpfen nicht für die Regierung, sondern gegen den Bolschewismus“, weiß Kuckenburg.
Im Jahr darauf ruft erneut eine gewählte sozialdemokratisch geführte Regierung zum Kampf auf – diesmal allerdings nicht gegen Kommunisten, sondern gegen die rechtsradikalen Kapp-Putschisten. Die Tübinger Studenten standen nun vor der Frage, wie sie sich verhalten sollten. Viele von ihnen sympathisierten mit Kapp und das Freikorps hegte den geheimen Plan, sich in Stuttgart mit dessen Bewegung zu verbünden, die Regierung gefangen zu nehmen und den Putschisten damit zum Sieg zu verhelfen. Wäre es dazu gekommen, hätten Tübinger Studenten in Stuttgart Geschichte geschrieben, verdeutlicht Kuckenburg im Interview. Glücklicherweise erahnte die Landesregierung bereits ein solches Vorgehen und lehnte den Einsatz des Studentenbataillons dankend ab. Kuckenburg nimmt an, dass die Regierung durch das Abhören von Telefonleitungen den Plan der Studenten erkannt hat und rechtzeitig gegensteuern konnte.
Der Kapp-Putsch scheiterte und der Versuch eines Mitputsches in Tübingen wurde von den Tübinger „Gôgen“ vereitelt. Unter ihnen wurde auf die Studenten, die mit Kapp im Bunde seien, gehetzt und auf den Verbindungshäusern musste scharf Posten gestanden werden, um Überfälle zu verhüten.
Gleichzeitig erhebt sich im Ruhrgebiet die „Rote Ruhrarmee“ aus 50.000 bewaffneten Arbeitern und wenig später beginnt der „Ruhraufstand“. Jetzt, wo es gegen „die Linken“ geht, entdeckt das Tübinger Studentenbataillon sein Herz für die Regierung. Kuckenburg erklärt, wie wild die Tübinger Studenten auf den offenen Kampf waren und wieso sie die Regierung im Nachhinein als „Waschlappen“ bezeichneten.
Mit dem Einsatz im Ruhrgebiet ist die paramilitärische Phase der republikfeindlichen Studenten weitgehend beendet, an der intellektuellen Front bleiben sie weiter aktiv. Anfang Juni 1920 forderte der Nationale Studentenbund per Flugblatt zum Kampf gegen die Demokratie auf. Ende 1920 führte er den „Arierparagrafen“ ein und nannte sich wenig später in „Hochschulring Deutscher Art“ um. 1932 trat die Tübinger Studentenschaft, unterstützt vom Nationalsozialistischen Studentenbund, korporativ dem unter anderen von Heinrich Himmler gegründeten „Kampfbund für deutsche Kultur“ bei. Tübingen wird neben München Hochburg des „Kampfbundes“. Nach 1945 stilisierten sich die Korporationen als unbequeme Nicht-Anpassungswillige und damit Leidtragende der Nazis. In Wirklichkeit hat die Mehrzahl von ihnen zu den Totengräbern der ersten deutschen Demokratie gehört, stellt Kuckenburg deutlich klar.
Heute kritisiert er die teils fehlenden Aufarbeitungsstrategien der Tübinger Studentenverbindungen. Sie müssten mit sich, ihrem Selbstverständnis und ihrer Vergangenheit ins Reine kommen. Michael Kuckeburg fasst im Interview passend zusammen, was uns die Geschichte im Vergleich zur heutigen Zeit lehrt: „Heute sind die Studenten eher links, damals waren sie alle rechts.“
Audio
Interview Michael Kuckenburg Langversion
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Interview Michael Kuckenburg Kurzversion
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