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"Du gehörst nicht dazu" Förderschulen - Problem oder Chance?

Offener Brief einer Förderschülerin: Sarah Mayer beschreibt in ihrem Brief ihr Leben als Förderschülerin und die damit verbundenen Schwierigkeiten.



Über Förderschulen wird selten geredet. Schließlich stellen sie die unterste Stufe der Schulhirachie dar. Dennoch ist knapp jeder zwanzigste Schüler förderbedürftig. Ziel der Förderschule ist es SchülerInnen, die auf Regelschulen keine Chance haben, möglichst gut und individuell zu unterstützen und sie auf ihrem Weg in ein eigenständiges Leben und die Berufswelt zu begleiten.

 Genau diese Begleitung fehlt Sarah Mayer. Sie besuchte über mehrere Jahre hinweg eine Förderschule und steht jetzt vor dem Übergang ins Berufsleben. Doch das ist nicht einfach: Als Förderschülerin hat sie es nicht leicht in der Arbeitswelt Fuß zu fassen und ihren Traumberuf auszuüben erscheint noch schwieriger.

Aufgrund ihrer Erfahrungen, hat Sarah einen offnen Brief verfasst, in dem sie den Alltag auf der Förderschule schildert und ihre damit verbundenen Probleme aufzeigt

 

 

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Du gehörst nicht dazu

 

Mit diesem Brief möchte ich darauf aufmerksam machen, wie schwer es Förderschüler haben, trotz der heutigen Endwicklung, in die Berufswelt einzusteigen.

 

Ich bin selbst früher von der 1. bis zur 7. Klasse in eine staatliche Förderschule gegangen. Ich und andere haben die Erfahrung gemacht, dass manche Leute nicht oder kaum wissen, was eine Förderschule ist und eine falsche Vorstellung davon haben.

 

Sie denken z.B, dass Förderschüler dumm sind und weniger Dinge verstehen und wissen. Als Förderschüler kommt man sich auch ausgegrenzt vor, weil man schon im Grundschulalter auf eine weiter weg  liegende Schule gehen muss. Gleichaltrige im Ort kennt man kaum. Jetzt, wo die Gemeinschaftsschule aufkommt, haben Förderschulen nicht mehr so einen schlechten Ruf wie früher.

 

An der Förderschule, auf die ich bis zur siebten Klasse ging, konnten Lehrer nicht verstehen, wieso ich etwas beim dritten Erklären immer noch nicht verstand. Oder sie wussten nicht, wie sie uns etwas Bestimmtes beibringen konnten. Ein Klassenlehrer von mir war überfordert, als ein Autist ausrastete. Ich habe mich dann um ihn gekümmert, weil er sich mit mir gut verstand.

 

Ich ging auf eine Sonderschule auch wegen meiner starken Matheschwäche (Dyskalkulie) und wegen meiner Lernbehinderung. Es begann in der vierten Klasse: Die Lehrerin wusste nicht, was sie mit mir machen sollte, weil ich außer Addition und Subtraktion kaum etwas in Mathe verstand und nicht mit dem Lerntempo der Klasse mitkam. So bekam ich, wie auch in den anderen Klassen danach, nur Arbeitsblätter und extra Aufgaben mit Addition und Subtraktion.Ich kam mir vernachlässigt und nicht verstanden vor.

 

Jetzt bin ich 17 und habe vor einem halben Jahr auf die anthroposophische Sonderberufsfach Schule-Jugendhilfe in Rommelsbach gewechselt. Ich fühle mich wohl auf der Schule und habe nette Lehrer und Schüler, die sich gut um einen kümmern. Vor allem mein Klassenlehrer kümmert sich gut um mich. Auch wenn es schwierig ist in Mathematik.Ich habe in der Schule den Eindruck, dass ich wertgeschätzt  werde und nicht wertlos bin. Ich habe mich fast zu einem erwachsenen Menschen entwickelt. Nur weiß ich nicht, wie ich mir  meine Zukunft vorstelle.Ideen hätte ich schon. Aber es sind eher Luftschlösser. Mir fällt der Gedanke so schwer,  weil ich so schlecht in Mathematik bin. Beruflich will ich etwas Soziales machen.Ich weiß, dass ich Fähigkeiten für so etwas habe und so etwas gut kann. Anderen fällt es auf und sie sagen es mir. Ich habe in meinem Leben schon viel erlebt und Erfahrungen gemacht, dass ich weiß, ich kann so etwas. Ich habe mir dieses berufliche Ziel nicht aus dem Bauch heraus ausgedacht. So wie es bei meinen alten Lehrern und Lehrerinnen sein könnte. Mit normalen Dingen auf einer Förderschule kamen sie nicht klar.

 

Für den Anfang meines beruflichen Ziels will ich die Hauptschule machen. Aber mein Klassenlehrer sagt, dass wäre zu schwer für mich. Für den Abschluss könnte ich zu schlecht Mathe und ich würde den Lerndruck nicht aushalten. Meine Eltern, die mir früher Nachhilfe hätten geben können, sind auch dagegen. Und meine Psychologin, die geduldig Nachhilfe sucht, meint, wie mein Lehrer, dass es für mich zu schwer sei. Sie meinen ich soll eine theoretisch-reduzierte Ausbildung für Förderschüler machen.Und nette Menschen kämen auch so durchs Leben. Ja, weiß nicht, kann ja sein, aber diese Ausbildungen entsprechen nicht meinem beruflichen Ziel. Auch wenn ich nach 3 Jahren Ausbildung den Hauptschulabschluss hätte. Aber ich will das nicht.

 

Ich bin nicht so sehr behindert, dass ich nur in einer Behindertenwerkstatt arbeiten könnte.

Es ist halt dieses Mathe Problem. Und die Chancen nach so einer Ausbildung, wo man nicht mal was verdient, in einem normalen Betrieb genommen zu werden, sind schwierig. Die Arbeitsanforderungen sind in den letzten Jahren gewachsen.

 

,,Wieso machen Sie sich denn so große Gedanken über ihre Zukunft, das ist doch gar nicht so schwer?“ So etwas hört man vom Arbeitsamt. Wenn man sich mal selbst informiert über so eine theoriereduzierte Ausbildung hört sich das gar nicht so einfach an, da was Richtiges für einen zu finden. Die  Bruderhausdiakonie Reutlingen  hätte, so sagt das Arbeitsamt, viele Ausbildungsmöglichkeiten für Förderschüler. Wenn man dort anruft, weiß die Frau am anderen Ende der Leitung kaum etwas darüber.

 

Und auch bei ihnen bräuchte man für fast alles mindestens Hauptschule. Dann gibt es z.B noch Mariaberg. Damit habe ich gute Erfahrungen. Die Leute sind nett. Sozialpädagogen kümmern sich wirklich sehr gut um ihre zu Betreuenden und Hilfsbedürftigen.Sie bieten auch für Förderschüler einiges an. Aber weil das ein Stück weit weg von mir ist, müsste ich dort wohnen. Und wer soll dann die Unterbringung zahlen? Denn während der Ausbildung verdient man ja nichts.

 

Ich habe so den Eindruck, dass wir Förderschüler und lernbehinderte Menschen nicht in die Gesellschaft passen. Wir sind zu langsam für diese schnell entwickelte Welt. Wir entsprechen nicht dem normalen Bürger, der heute wie normal einen Realschulabschluss hat. Wir werden nicht verstanden und nicht ernst genommen. Wir sind zu schwierig, einfach schulisch zu langsam. Und werden manchmal schon in dieses Problem hineingeboren. Es gibt zwei Welten:
Behinderte z.B Autisten, Geistigbehinderte oder Körperbehinderte kommen meist in die gut aufgehobene Wohngruppe für Behinderte mit Werkstatt zum Arbeiten.Es gibt natürlich Ausnahmen.
Oder die normale Bürger, die mindestens einen guten Hauptschulabschluss haben und vor allem der schnell lernenden Entwicklung folgen können. Z.B in einer Berufsschule wo alle Nationen an einem Strick ziehen müssen, um die meist 3-jährige Ausbildung hinter sich zu haben.

 

Wer nicht mitkommt, zu langsam ist: selbst schuld. Nein, wir entsprechen nicht dem normalen Bürger.

 

Und dann stellt sich die Frage: wohin mit Sonderschülern? Wir sind meist in der Mitte dieser zwei Welten. Viele von uns sind nicht so sehr behindert, dass sie nur in einer Behinderten Werkstatt arbeiten könnten. Damit meine ich, vom geistigen Denken, Fühlen und Handeln Sie verstehen fast so viel wie ein normaler Bürger.

 

Heutzutage, wo eigentlich so viel erreicht und gemacht und verbessert wurde, bleibt das hier ein ungelöstes, meist nicht bekanntes  Problem. Ich glaube, dass der Weg zur Gemeinschaftsschule eine gute Lösung wäre. Wir stehen erst am Anfang dieses Schulsystems. Aber desto länger die Politik und die Gesellschaft dran bleibt, desto mehr verbessert sich die Gemeinschaftsschule. Auch wenn es viele Meinungen zum Thema Gemeinschaftsschule gibt.

 

Laut der Studien „Sonderweg Förderschulen – hoher Einsatz, wenig Perspektiven“ der Bertelsmann Stiftung machen 77,2% der Förderschüler mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ am Ende der Pflichtschulzeit keinen Hauptschulabschluss. Laut der Studie machen Kinder mit Förderbedarf die mit Kindern ohne Förderbedarf unterrichtet werden, bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte.

 

Was ich möchte, was sich im Allgemeinen für Förderschüler und Förderschülerinnen ändern soll:

 

Die Politik hat schon lange Zeit, wenig auf dem Gebiet der Bildung in Förderschulen gemacht. Es wird Zeit, dass es in regulären Schulen weniger nach der Leistung geht, sodass auch Förderschüler mitkommen können und dadurch in der Gesellschaft besser sozial aufgenommen werden. Im Lehrerstudium sollte Lehrern mehr der Umgang mit unterschiedlichen Menschen und Problemen gelehrt werden. Z.B wie erkläre ich einem Kind mit Förderbedarf ein Thema, sodass es die Logik darin verstehen kann?

Ein großes Problem ist einfach für Förderschüler, dass sie es schwerer haben in die Berufswelt einzusteigen. Ich bin psychisch normal in der Lage, mich mit jemand zu unterhalten und zu denken. Aber weil ich eine Lernbehinderung und Matheschwäche hab, ist es schwierig zu dem Berufsziel zu kommen, zu dem ich möchte. Ich weiß, dass ich meinen Wunschberuf gut ausüben könnte. Aber den dazugehörigen Abschluss schaffe ich nicht.

 

Sarah Mayer

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Audio

Download (15,38 MB)
Du_gehoerst_nicht_dazu_-_Kritik_an_Foerderschulen.mp3



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